Kritik zu Frieden, Liebe und Death Metal

© Studiocanal

Isaki Lacuesta erzählt nach einer authentischen Quelle von den langwierigen und komplexen ­Nachwirkungen des Bataclan-Attentats. Ein junges Paar von Überlebenden erlebt, wie völlig gegensätzlich die Weisen des Umgangs und der Verarbeitung des Traumas sein können

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Kleine Partikelchen flirren schwerelos durch die Nacht, eine junge Frau und ein junger Mann laufen in goldglitzernde Rettungsfolie gehüllt neben einem Bus durch die seltsam verwaisten Straßen von Paris. Es herrscht eine entrückte, fast verwunschene Stimmung, als würde die Zeit langsamer laufen, bald stillstehen. Die beiden jungen Menschen, Céline (Noémie Merlant) und Ramón (Nahuel Pérez Biscayart), eine Französin und ein Spanier, wirken erschöpft, weniger, als hätten sie ein traumatisch erschütterndes Erlebnis hinter sich, eher als hätten sie gerade etwas Besonderes erlebt. Nichts geben diese ersten Bilder preis von den dramatischen Ereignissen, die die beiden gerade erlebt haben. Später werden sie erzählen, wie schön diese fliegenden Teilchen ausgesehen hätten. Erst im Nachhinein hätten sie erfahren, was es wirklich war, Schießpulver und Leichendunst. Dieses Schwebende, Vage und Durchlässige ist das Besondere an dem Film von Isaki Lacuesta, mit all den Unsicherheiten, die in der Erinnerung liegen.

Es ist der 13. November 2015, der Tag der Anschläge auf die Konzerthalle Bataclan, in dem 89 zumeist junge Menschen von drei Attentätern des Islamischen Staates ermordet wurden. Der Film des spanischen Regisseurs Isaki Lacuesta basiert auf dem Buch eines Überlebenden, »Paz, amor y death metal« von Ramón González, ist aber keine Rekonstruktion der Ereignisse, so wie es Erik Poppe in »Utøya, 22. Juli« versucht hat.

»Un año, una noche« heißt der Film im Original, ein Jahr, eine Nacht. Es geht um die eine Nacht, in der es passiert ist und um das, was Erinnerung und Verdrängung im darauffolgenden Jahr daraus machen. Zugleich geht es auch um das Trauerjahr, in dem man einen traumatischen Verlust verarbeitet. Ganz unterschiedlich gehen Céline und Ramón an diese Trauerarbeit heran. Während er alles wissen, ergründen und verstehen will, die Ereignisse der Nacht immer wieder minutiös zu rekonstruieren versucht, will sie vergessen, erzählt nicht mal ihren Arbeitskollegen, ihren Freunden, ihrer Mutter davon. »Du wirst noch mit 70 Opfer der Anschläge sein!«, wirft sie ihm vor.

Lacuesta überträgt den Aufruhr und die Verstörung ganz direkt in die Bilder, die immer wieder fahrig, verwackelt und unscharf sind, als würde auch die Kamera mit ins Chaos hineingerissen, in eine Welt, die aus den Angeln gehoben ist. Nie gewährt sie einen Überblick, und der Schnitt trägt zusätzlich dazu bei, dass die Eindrücke fragmentiert bleiben. Konsequent verweigert sich die Geschichte einer linearen Erzählung, wird immer wieder von hereinbrechenden Erinnerungen aus der Nacht im Bataclan und von den letzten unbeschwerten Momenten davor gebrochen, von widersprüchlichen Wahrnehmungen, die den Film öffnen, für verschiedene Interpretationen. 

Die Erinnerung wird da auch zu einem Raum, den man sich so einrichtet, dass man darin weiterleben kann. Das heißt allerdings auch, dass diese traumatisierten Menschen unzuverlässige Erzähler sind und dass man die Teile als Zuschauer auf ganz unterschiedliche Weise zusammenfügen kann. »Hattest Du als Kind einen imaginären Freund?«, fragt Ramón einmal und Céline bejaht.

Zum siebten Jahrestag der Anschläge gibt es eine ganze Reihe von Filmen, die sich ­damit auf unterschiedliche Weise beschäftigen. In »November« verfolgt Cédric Jimenez die Arbeit der französischen Antiterroreinheit, die nach den Tätern fahnden. In »Meinen Hass bekommt ihr nicht« von Kilian Riedhof geht es um Schmerz und Trauer eines Mannes, dessen Frau und Mutter seines Kindes im Bataclan gestorben ist. Den Facebook-Eintrag von Antoine Leiris, Ausgangspunkt für seinen Verarbeitungsroman und dessen Verfilmung, diskutieren auch Céline und Ramón mit ihren Freunden. So entsteht aus den filmischen Versuchen, dieses intime und zugleich nationale Trauma zu verarbeiten, ein komplexes Gewebe mit Querverbindungen und Zitaten.

Meinung zum Thema

Kommentare

"Zum siebten Jahrestag der Anschläge gibt es eine ganze Reihe von Filmen, die sich ­damit auf unterschiedliche Weise beschäftigen." – ist etwas irritierend, da oben steht, dass der Film aus dem Jahr 2021 sei. Dann gab es den Film wohl eher schon passend zum 6. Jahrestag.

Hallo,

2021 ist das Produktionsjahr. Der Film wurde 2022 im Kino veröffentlicht, darauf bezieht sich die Kritik.

Besten Gruß aus der epd Film Redaktion

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