Kritik zu Every Note You Play
Mika Kaurismäki beobachtet in seiner Doku Jazzmusiker, die sich bei einem Improvisationsfestival begegnen und zusammen musizieren. Ohne Plan, aber mit viel Elan. Hier kann man erfahren, wie Musik entsteht
Was macht Musik aus? Eine Frage, die nicht so leicht zu beantworten ist. Vielleicht so: Sie entsteht in Freiheit und besteht eigentlich nur aus zwei Momenten. Der wichtigste ist Zuhören: die Wirkung der Musik aufspüren und in sich aufnehmen, mit dem Verlauf eins werden und mitschwingen. Der zweite betrifft die eigene Partizipation: »Wenn du etwas beizutragen hast«, sagt einer der Musiker, »dann spiele mit, ansonsten halte dich zurück.« Und tatsächlich ist bei dieser Art der Improvisation weniger oft mehr.
Mika Kaurismäki ist mit der Kamera dabei, wie Töne einander begegnen, wie sie eine Einheit bilden und etwas entstehen lassen, wie sie aufeinanderprallen und sich verfehlen und irgendwann einfach ineinanderfließen. Er zeigt, wie Musik entstehen kann, ohne Perfektion, sondern aus sich heraus. Jenseits von Genres und Erwartungen. Avantgarde, Jazz, Folk, Indie – all das spielt keine Rolle. Hier geht es um das pure musikalische Erlebnis. Um eine Reise ins Unbekannte.
Sechzehn Musiker und Musikerinnen kamen bei der zweiten Monheim Triennale im Sommer 2024 für drei Tage vor Publikum zusammen und führten ihre Art von Musik vor, meist in kleinen Hallen, Kirchen oder unter freiem Himmel. Einen Plan gab es nicht, man überließ sich der Kommunikation der Töne. Beteiligt waren Oren Ambarchi, Shannon Barnett, Brìghde Chaimbeul, Anushka Chkheidze, Ganavya Doraiswamy, Peter Evans, Heiner Goebbels, Shazad Ismaily, Selendis S. A. Johnson, Darius Jones, Yuniya Edi Kwon, Muqata›a, Rojin Sharafi, Achim Tang, Julia Úlehla und Ludwig Wandinger.
In Einzelinterviews versucht Mika Kaurismäki, dem nahezukommen, was man als musikalische Kreativität bezeichnen könnte. Er fragt nach Erfahrungen, Hoffnungen und Zielsetzungen, nach konkreten und spirituellen Absichten und zeigt, dass es vor allem eins ist, was die Musiker verbindet: das leichthändige Überschreiten von Grenzen.
Dass man bei einer solchen Arbeit kein strenges filmisches Konzept gebrauchen kann, liegt auf der Hand. Und bei einer sehr herausfordernden akustischen Ebene ist es ratsam, in den Bildern eine gewisse Ruhe herzustellen. Man könnte den Stil des Films als konventionell bezeichnen, aber tatsächlich versucht er, sich in den Dienst dieser Musik zu stellen, sich bildlich nicht darüber zu erheben oder in eigenen Experimenten von dem abzulenken, um das es ihm geht. So ist Kaurismäkis Film entspannt und gelassen, wo doch die Anspannung der Musiker spürbar wird. Denn diese Musik ist nichts für Freunde des Easy Listening. Sie ist komplex und spröde, verdankt viel dem Freejazz und einer energetischen Spontaneität. Es kostet einige Kraft, ihr zu folgen und zu verstehen, was gerade geschieht. Denn diese Musik ist für den Moment, nicht für eine wie auch immer gedachte Ewigkeit. Und so ist Mika Kaurismäkis Film auch kein Medium, das das Flüchtige fixieren will, sondern ein Film, der offen fragt, wie Musik entsteht. Die Antwort mag nicht umfassend sein, erfüllend aber ist sie allemal.
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