Kritik zu Die Ökonomie der Liebe

© Camino Filmverleih

Das Erzählterrain des Belgiers Joachim Lafosse (»Privatunterricht«) sind Familien- und Liebesbeziehungen. In seinem neuen Film geht es um die durch notgedrungenes Zusammenleben hinausgezögerte Trennung eines Paares

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Das kleine Reich lädt zum Zusammenleben ein, hier lässt sich Alltag mitei­nander teilen: Die hohe Mauer schirmt den paradiesischen Garten von der Straße ab. Die Glaswand gibt den Blick auf ihn frei. Das Interieur wirkt offen, die Räume gehen beinahe ineinander über. Die langen Plansequenzen, die tiefer in die Wohnung vordringen, folgen einem Weg, der vom Licht zur Geborgenheit führt.

Aber das Haus, in dem Marie und Boris mit ihren Zwillingstöchtern wohnen, hat aufgehört, ein beschauliches Idyll zu sein. Seit das Paar sich nach 15 Jahren getrennt hat, ist es zu einem Kriegsgebiet geworden. Da sich Boris (Cédric Kahn) vorerst keine eigene Wohnung leisten kann, hat ihm Marie (Bérénice Bejo) ein heikles Bleiberecht eingeräumt. Sie zieht Grenzlinien, die er ständig übertritt. Ihr Zusammenleben ist nun eine Zerreißprobe. Joachim Lafosse inszeniert diesen Alltag nicht als hysterische Zimmerschlacht, sondern als einen Pas de deux der Ablehnung und der Schuldzuweisungen. Absprachen werden nicht eingehalten, die Erziehungsmethoden des anderen sabotiert, Unachtsamkeit entpuppt sich als blanke Rachsucht. Der Preis, den ihre Töchter dafür zahlen, bleibt ihnen nicht verborgen. Aber für das Paar ist die Wut zu einer Routine geworden, aus der sie kaum mehr ausbrechen können. In einem Moment selbstvergessener Heiterkeit tanzen alle vier miteinander; auch die Eltern finden dabei in einen gemeinsamen Rhythmus. Mit dem Ende der Liebe hören die Gefühle nicht auf.

Das Französische hat einen wehmütigen, schwer übertragbaren Begriff für diesen Prozess, auf dessen Schilderung sich Lafosse ebenso gut versteht wie Philippe Garrel oder Claude Sautet: désamour. Béjo und Kahn übersetzen ihn großartig für die Kamera: Sie sind zugleich Verteidiger ihrer Figuren und einnehmende Zusammenspieler. Immer wieder entzündet sich der Streit am Verkauf des Hauses, das Marie zwar bezahlt hat, dessen Wert aber durch Boris' handwerkliches Geschick erheblich gestiegen ist. Das Aufrechnen ist ein weiteres Schlachtfeld, auf dem für das Scheitern der Beziehung bezahlt werden muss. Der Kampf um den Bildraum wird ebenso erbittert geführt. Regelmäßig kadriert Jean-François Hensgens die Einstellungen so, dass Boris erst aus dem Off zu hören ist und später ins Bild kommt: als wolle Marie die Präsenz dieses Störenfrieds um jeden Preis ausschließen. Parteiisch ist die Kamera freilich nicht. Wachsam nehmen die langen Plansequenzen kleine Gesten und Nuancen des Ausdrucks in den Blick, in denen sich Verletzbarkeit und Zorn offenbaren.

Das Aufstellen und die Übertretung von Regeln sind auch ein Erzählprinzip des Drehbuchs, das Lafosse zusammen mit Mazarine Pingeot und Fanny Burdino geschrieben hat. Es konzentriert sich auf diesen einen Austragungsort. In diesem strengen Arrangement gibt es weder blinde Flecken noch Reibungsverluste. Erst eine bestürzende Katharsis zwingt den Film, seinen Schauplatz zu verlassen. Er tut es zögerlich, beschränkt sich zunächst weiterhin auf geschlossene Orte, um dann dem Ende eine elegisch zuversichtliche Offenheit zu verleihen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt