Kritik zu Café Belgica

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Der belgische Filmemacher Felix van Groeningen inszeniert einmal mehr eine autobiografisch inspirierte Geschichte: Der unerwartete wirtschaftliche Erfolg einer neu eröffneten Musikkneipe zieht zwei ungleiche Brüder in einen Sog aus Exzessen und persönlichem Scheitern

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Der introvertierte Jo betreibt eine alternative Kneipe in der pittoresken Innenstadt von Gent. Mit seinem unsteten Bruder Frank, einem verkrachten Gebrauchtwagenhändler, hat er eigentlich nicht mehr viel zu tun. Doch als Frank den Jüngeren dazu überredet, sein verschlafenes Café zu einem Tanzclub mit Live-Events zu erweitern, ist es für beide ein wunderbarer Neuanfang. Allerdings funktioniert ihr Laden schon bald so gut, dass die beiden Geschäftsführer in einen gnadenlosen Sog aus Sex, Drogen und Gewaltexzessen hineingezogen werden.

Musik spielt immer eine besondere Rolle in den etwas anderen Filmen des Belgiers Felix van Groeningen, der einmal mehr autobiografische Motive verarbeitet. Sein Vater führte viele Jahre das »Charlatan«, ein angesagter Laden in Gent, den es heute noch gibt und als Vorbild für das Café Belgica diente. Die Toiletten in diesem Schuppen erinnern daran, dass van Groeningen in seinem vorletzten Film von der »Beschissenheit der Dinge« erzählte. Der ausgelassenen Stimmung tut diese suboptimale Hygiene keinen Abbruch. Es herrscht Euphorie pur, zunächst. Mit bemerkenswerter Präzision fokussiert der Belgier ein Milieu zwischen Subproletariat und Bohème, dessen ausgeprägter Hang zum Feiern auch diesmal kaum zu bremsen ist. Raue, halbdokumentarische Beobachtungen skizzieren einen Traum, in dem die Grenzen zwischen geschäftlichen Verpflichtungen und ausgelassener Partyatmosphäre zusehends verschwimmen. Die Form passt sich diesem zerknitterten Realismus an. Kommen die Brüder betrunken daher, dann stolpert die Handkamera mit ihnen.

Zu dieser Stimmung nah am Siedepunkt trägt der Soundtrack der belgischen Formation »Soulwax« bei. Mit einem Stilmix zwischen Rock, Reggae, Dub und New Wave sowie einer scheinbar wechselnden Besetzung erzeugt die Band den täuschend echten Eindruck, als würden mehr als zehn verschiedene Gruppen auftreten. Wenn die Brüder dabei hinter der Theke Kokain schnupfen und die Wirkung der Droge durch den Ton einer übersteuerten elektrischen Gitarre fühlbar wird, dann erinnert man sich als Zuschauer an diese speziellen Momente, in denen sich beim Betreten eines brechend vollen Tanzlokals die Nackenhaare aufstellten. Mittendrin im Tohuwabohu.

Während die Musik bis zum Anschlag aufgedreht ist, sind die Zwischentöne der Geschichte eher leise. Partyexzesse werden zur Routine, in der den Brüdern schrittweise ihr Leben entgleitet. Der Belgier Tom Vermeir verkörpert den draufgängerischen Frank als zügellosen Instinktmenschen, der seine destruktiven Gewaltausbrüche irgendwann kaum mehr unter Kontrolle bekommt. Als er von seiner Frau dabei erwischt wird, wie er mit dem Kind im Arm kokst, ist das Tischtuch zerschnitten. Pech in der Liebe hat auch der einäugige Jo, von Stef Aerts als liebenswürdiger Träumer gespielt. Seine Freundin treibt das gemeinsame Kind ab, worauf ihm schmerzlich bewusst wird, dass eine Dauerfete kein Lebensentwurf ist.

Während das entfesselte Lustprinzip von der Realität eingeholt wird, kippt auch die Stimmung im Café Belgica. Jo und Frank haben ihr Projekt zunächst als zwanglosen Treffpunkt ohne Beschränkungen, Regeln und Zwänge konzipiert. Doch überall gibt es Randalierer. Und Frauen beschweren sich, dass gewisse Gäste sie massiv sexuell belästigen. Sicherheitskonzepte sind unvermeidbar, doch mit Türstehern und Überwachungskameras ist das Café Belgica nicht mehr das, was es war.

Der aus einem einzigen Block herausgehauene Film spitzt diesen schmerzlichen Übergang nicht auf ein melodramatisches Ende hin zu. Es gibt keine Belehrungen, keinen erhobenen Zeigefinger, keine »Sozialkritik«. Der Zuschauer kommt aus diesem Café Belgica mit der Katerstimmung einer durchzechten Nacht, die einen in die gnadenlose Helligkeit eines blendend hellen Tages entlässt. Der Kopf schmerzt, die Scherben müssen aufgekehrt und die Puzzlestücke des Lebens neu zusammengesetzt werden.

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