Kritik zu Caché

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Michael Haneke, 1942 in München geboren und in Österreich aufgewachsen, hat sich mit sperrigen Psychodramen (»Funny Games«, »Bennys Video«) oder düsteren Untergangsszenarien (»Wolfzeit«) zu einem der wichtigsten europäischen Aurorenfilmer entwickelt. Seit 1989 ist Haneke regelmäßig in Cannes vertreten und wurde dort 2001 für »Die Klavierspielerin« mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Sein neuer Film »Caché«, eine Geschichte von kindlicher Schuld und später Sühne, erhielt in Cannes den Regiepreis und im Dezember den Europäischen Filmpreis. Um die mögliche Nominierung von »Caché« für den Oscar gab es Ärger: Die Kommission lehnte den Film ab, weil er in Französisch gedreht sei (was vier Jahre zuvor bei der »Klavierspielerin« kein Hindernis war). Michael Haneke lebt und arbeitet seit fünf Jahren in Frankreich.

Der Trailer, mit dem Michael Hanekes neuer Film beworben wird, ist von großer Suggestivität. Eine Atmosphäre von Bedrohung und Mysterium verdichtet sich in Bildfetzen und Szenenausschnitten, die rissige Montage stimmt den Zuschauer auf einen Thriller ein, der hinreichend Überraschungen und Schockeffekte bereithalten wird. Er verleitet beinahe dazu, zu vermuten, nun sei endlich eingetroffen, was insgeheim lange schon ausstand: dass Haneke einen reinrassigen Genrefilm gedreht hat. Seine Maxime, Zuschauen solle stets eine Bedrohung sein, muss der Dramaturgie eines Thrillers ja nicht notwendig widersprechen. Immerhin nennt der österreichische Regisseur in Interviews nicht nur Robert Bresson als einen Meister, der nachhaltigen Einfluss auf seine Arbeit hatte, sondern auch Alfred Hitchcock.

Der Trailer verrät freilich nichts davon, wie Haneke neuerlich Widerhaken ins Fleisch der geläufigen Konventionen schlägt. Anders als Steven Spielberg, der in Munich die eigene Suspensedramaturgie unterminiert, indem er die moralische Zerrissenheit der Figuren pflichtschuldig auf den Zuschauer überträgt, entsteht bei Haneke Ambivalenz daraus, dass er der Komplizenschaft des Zuschauers einen doppelten Boden einzieht. Sein Thriller kalkuliert mit der düpierten Erwartung; die Lösung seines Rätsels ist ihm irritierend entbehrlich.

»Caché« zitiert den vertrauten Topos der wohlsituierten Kleinfamilie, deren Zusammenhalt durch eine Bedrohung von Außen auf eine Zerreißprobe gestellt wird. Das Gefühl des Ausgeliefertseins hat einmal mehr bei Haneke mit dem Terror der Bilder zu tun. Eines Tages erhalten die Laurents ein Videoband, das zwei Stunden lang eine Ansicht ihres Hauses zeigt, das wie eine verwunschene, vorstädtische Festung in das Fassadenensemble einer Pariser Straße eingezwängt ist. Das Dekor ihres Privat- und Berufsleben sind Bücherregale: Georges ist Moderator einer Literatursendung im Fernsehen (Daniel Auteuil spielt ihn als jüngere und unjovialere Variante des in Frankreich überaus einflussreichen Bernard Pivot), seine Frau Anne (Juliette Binoche) arbeitet als Lektorin in einem Verlag. Bald folgt ein zweites, das die Anfahrt zu einem Bauerhof zeigt. Den verstörend banalen Videobotschaften sind blutrünstige Kinderzeichnungen beigefügt.

Bei der Suche nach dem Absender wird Georges mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, dem Unrecht, das er als Kind einem algerischen Waisenjungen zufügte, den seine Eltern aufgenommen hatten. Nachdem Georges ihn anschwärzte, weil er einen Hahn geköpft hatte, wurde der Junge ins Waisenhaus geschickt. Als ihn ein weiteres Band zu der Sozialwohnung führt, in der der gealterte Majid ein klägliches Dasein fristet (exzellent besetzt mit dem Charakterdarsteller und Bühnenregisseur Maurice Bénichou, der Auteuil einen ganz eigenen Rhythmus entgegensetzt), hofft er, diese Anfechtung seiner gesicherten Existenz abschütteln zu können.

Haneke hat Georges für Daniel Auteuil geschrieben, der Filmtitel (»Caché«) verweist auch auf die Aura von höflicher Verschlossenheit, die diesen Schauspieler umgibt. Er scheint stets ein Geheimnis seiner Figuren zu wahren, eine innere Wahrheit zurückzuhalten. Auteuil lässt in der Schwebe, ob Georges die damaligen Ereignisse tatsächlich vergessen oder aber verdrängt hat. Seine Frau weiht er nur zögernd ein; im Verlauf des zweistündigen Films berührt er sie ganze zwei Mal. Der Schandfleck auf seinem Leben rührt nicht allein von seiner Tat her - obgleich Hanekes Inszenierung es nicht zulässt, sie leichtfertig als die Dummheit eines Fünfjährigen abzutun. Der eigentliche Sündenfall besteht vielmehr in seiner Unfähigkeit, sich der Vergangenheit zu stellen und sie aufrichtig aufzuarbeiten; in einer Szene schlägt Georges' Verletzbarkeit in eine rassistisch gefärbte Aggression um. Haneke erweitert die persönliche Schuld um eine historische Dimension. Majid wurde von Georges' Familie aufgenommen, nachdem seine Eltern bei dem Massaker ums Leben gekommen waren, das die Pariser Polizei am 17. Oktober 1961 unter 200 algerischen Demonstranten anrichtete. Angeordnet wurde es vom damaligen Polizeichef, dem Exkollaborateur Maurice Papon (der für seine Vergehen während der Okkupation erst Jahrzehnte später zur Rechenschaft gezogen wurde: womit noch eine weitere Schicht nationaler Verdrängung freigelegt wäre).

Die Oberfläche, unter der man schon aus Lebenstüchtigkeit nicht zu tief schürft, zieht sich als Motiv durch den gesamten Film. Sie ist auch eine Bedingung für die Textur der Bilder: Haneke hat die Video- und die "eigentlichen" Filmbilder mit einer hochauflösenden Digitalkamera aufgenommen, wodurch sie an Tiefe einbüßen. Die beiden Ebenen sind visuell nicht voneinander geschieden, der Realität ist nicht zu trauen. Die Frontalität mancher Einstellungen schürt den Argwohn, auch diese Momente seien Gegenstand einer Videoaufzeichnung.

Hanekes Kamerastil gewinnt seine Nachdrücklichkeit aus der nüchternen, präzisen Beobachtung, nicht aus der Subjektivität oder emphatischen Ausrichtung auf die Figuren. Seine Plansequenzen bieten den Darstellern keinen Rahmen, in dem sie sich entfalten könnten. Sie arbeiten vielmehr mit der Geometrie (es überrascht nicht, dass Haneke seine Einstellungen an Storyboards entwirft) und dem Verstreichen der Zeit, dem Zusammenhang zwischen Ereignis und Konsequenz. Wenn sich Nachrichtenbilder aus dem Fernsehen als Kraftfeld zwischen die Hauptfiguren schieben, ein neugieriger Cafébesucher eine vertrauliche Unterhaltung belauscht oder ein Telefongespräch von Partygeplauder überlagert wird, spaltet sich der Blick des Zuschauers auf, zerstreut sich seine Wahrnehmung. Die ungeheure Spannung, die die Bildkompositionen besitzen, verdankt sich nicht der vordergründigen Darstellung von Gewalt und Schrecken, sondern dem Widerstreit zwischen Privatheit und Öffentlichkeit.

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