Buch-Tipp: Hanekebücher

Europäische Filmpreise, Goldene Palmen und Globes, schließlich der Oscar: Michael Hanekes Erfolgskurs führt auch zu vermehrtem Diskurs, und das von ganz verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven aus. Kein Wunder, dass Ende Februar in Mannheim die Psychoanalytiker im Dialog mit der Filmwissenschaft dem Phänomen Haneke auf die Spur zu kommen suchen. Eine der ersten Annäherungen an Haneke aber ging von den Theologen der Universität Graz aus, die schon Mitte der 1990er Jahre ein Haneke-Symposium abhielten. Daraus hervorgegangen ist ein Tagungsband, der dann mehrfach erweitert und aktualisiert wurde und inzwischen in dritter Auflage bei Schüren erschienen ist. 

Fragen nach Moral und Gesellschaft stehen im Mittelpunkt – das ist der natürliche Schnittpunkt zwischen Theologie und den Haneke’schen Themen von emotionaler und ästhetischer Verstörung. Gefühlsdystopie, eruptive Gewaltakte, Medienkritik, »kalte« Kamerabeobachtung, verstörende Verrätselung, drastische Selbstreflexivität: Sehr genaue Texte bietet »Michael Haneke und seine Filme«, ein Band, der in der Vielfalt seiner Betrachtungsweisen ein grundlegendes Werk ist. Übersichtsartikeln – etwa zu Hanekes Fernsehfilmen – stehen dabei vertieft bohrende akademische Essays gegenüber – etwa Betrachtungen zum Erhabenen, Analysen einzelner Filme treffen auf thematische Essays. 

Christian Wessely entwirft eine Topologie der Wohnung aus Liebe, inklusive virtuellem Traumsequenzkorridor. Andreas Kilb betrachtet die Verschränkungen von Gewalt und medialer Vermittlung in Bennys Video – zwar auf dem Internet- und Digitalisierungsstand der Erstauflage 2005, andererseits ist Hanekes noch immer bestürzender Film ein Relikt des VHS-Zeitalters. Georg Seeßlen entwickelt eine kleine Philosophie des antipsychologischen, antimythischen, antimelodramatischen Haneke-Werkes; Davide Zordan betrachtet Hanekes Kino als Versuchslabor und geht dabei weit über die Oberfläche dieser Metapher hinaus.

Aber natürlich ist das alles letztendlich »Hirnwichserei« – darin sind sich Michael Haneke und Katharina Müller einig: »Wer liest filmwissenschaftliche Werke? – Filmwissenschaftler«. Weshalb Müller ihre jüngst veröffentlichte Dissertation über Haneke – »keine Biographie« – klugerweise aufteilt: in »einen säuberlich gewichsten Wissenschaftlichkeitsteil und einen divergent geilen zweiten Teil, der eine Versammlung von Stimmen und Material von und zu ‚Haneke‘ ist«. Was sich flapsig anhört, aber nur recht adäquat die Obertöne anklingen lässt, um die Müller ihr fundiertes, weitblickendes, freilich auch essayistisch anmutendes Werk arrangiert.

Müller begibt sich auf eine Reise durch Hanekeland: nicht erklärend, sondern beschreibend flaniert sie durch die Landschaft der Rahmenbedingungen, die Hanekes Filme ermöglichten und in die sie dann hineinplatzen. Stationen am Wege sind Interviewpassagen mit Hanekes Produzent Veit Heiduschka, mit Filmmuseumsdirektor Alexander Horwath oder Roland Teichmann, Leiter des Österreichischen Filminstituts, Reiseorganisator ist Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie, die auch als Hauptvorlage für Müllers Masturbationsteil dient.

In hommagehaften 71 Kapiteln betrachtet Müller nicht hermeneutisch Hanekes Filme, sondern das Drumherum: was die Filme auslöste und was sie auslösten, gerade auch im Hinblick auf Hanekes Oscar-Triumph von 2013. Neben Betrachtungen etwa zum System Cannes, zur Filmkritik, zur Filmförderung untersucht sie im Speziellen die Widersprüche und Notwendigkeiten einer nationalen Vereinnahmung von Haneke, der gerade durch seine Internationalität seine künstlerischen Erfolge erreichen konnte, der aber zugleich auf die Fördertöpfe der »Heimat« angewiesen ist. Dieser Komplex hängt eng zusammen mit dem Aufkommen des Konzeptes »Arthouse-Kino«, sozusagen als postmoderne Variante des althergebrachten Autorenfilms, dem sich Haneke als anachronistisches Relikt zuschreibt – Horwaths Ausführungen zu diesem Kunstfilm-Diskurs sind höchst lesenswert. 

Beide Bücher sind auf je verschiedene Weise lohnenswert, wenn auch mitunter anstrengend. Aber wer Hanekefilme sieht, lässt sich davon natürlich nicht abschrecken.

Bestellmöglichkeit der Bücher:

Christian Wessely, Franz Grabner, Gerhard Larcher (Hrsg.): Michael Haneke und seine Filme. Eine Pathologie der Konsumgesellschaft.
Schüren, Marburg 2012. 3., erw. Auflage.
416 S., 29,90 €. 

 

 

 

 

Katharina Müller: Haneke. Keine Biographie.
Transcript Verlag, Bielefeld 2014.
424 S., 34,99 €.

 
 
 
 
 
 
 
 

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