Kritik zu Tage am Strand

© Concorde

Die französische Regisseurin Anne Fontaine präsentiert ihren ersten internationalen Film, starbesetzt mit Naomi Watts und Robin Wright in Bikinirollen

Bewertung: 3
Leserbewertung
2.666665
2.7 (Stimmen: 3)
Vielleicht hat der Gleichklang von »la mère« und »la mer« der französischen Regisseurin Anne Fontaine den Anstoß gegeben. Sinnlicher als in dieser abgründigen Erotikfabel, inspiriert von Doris Lessings Erzählung »Die Großmütter«, sind die Mütter und das Meer selten präsentiert worden. Der Schauplatz ist meist eine paradiesische Küste, die stets aus landabgewandter Blickrichtung gezeigt wird. Der smaragdfarbene Ozean ist von Filmbeginn an als eigentliches Objekt der Begierde markiert, wenn zwei Mädchen atemlos über den Strand rennen und sich in die Fluten stürzen. Eine Generation später leben die Freundinnen quasi Tür an Tür in Strandvillen. Die »Yummy Mummies« – die Bikinis enthüllen, dass kein Gramm Fett an der falschen Stelle wabbelt – verbringen ihre Tage sonnenbadend am Strand, während ihre Söhne, unzertrennlich wie die Mütter, in den Wellen surfen. »Sie sehen aus wie griechische Götter«, seufzt Mama Roz. Es ist angerichtet.
 
Wen diese surreal angehauchte Ouvertüre in Cinemascope, untermalt vom Sound plätschernden Wassers, nicht anmacht, dem ist nicht zu helfen. Die »Igitt!«-Schreie vieler Kritiker verraten viel innere Abwehr angesichts der provozierenden Selbstverständlichkeit, mit der die amoralischen Romanzen in Gang kommen. Dabei beschränkt sich das Knistern nicht auf die symmetrischen Paarungen junger Mann – reife Frau. Lils Sohn Ian verführt eines Abends Roz, und als Roz’ Sohn Tom die Affäre bemerkt, verführt er am Tag darauf Lil. Aus Rache – oder ist er auf seine Mutter eifersüchtig? Diese über Bande gespielten Leidenschaften haben neben einer inzestuösen eine stark homosexuelle Komponente, die im Falle der beiden Frauen offen angesprochen wird. Ein gleichaltriger, verschmähter Verehrer von Lil deutet die Blicke der Freundinnen als lesbisch. Dank der nuancierten Darstellungen von Naomi Watts und Robin Wright bleiben die multiplen Anziehungskräfte jedoch in der Schwebe.
 
Auch die Bettszenen sind diskreter als in jedem x-beliebigen Actionfilm. Fontaine hat sich schon in ihren vorigen Filmen (»Nathalie«) mehr für vertrackte Versuchung anstatt für Sex interessiert. Es scheint ihr vor allem darum zu gehen, den Zustand paradiesischer Unschuld abzubilden, in dem Alter, Geschlecht und Zeit bedeutungslos sind, in der eine ozeanische Verschmelzung von mütterlicher und sexueller Liebe stattfindet.
 
Die Außenwelt, Über-Ich und erwachsene Männer werden zunächst fast ausgeblendet; Lil ist Witwe, Roz’ Mann zieht nach Sydney. Doch lange hält einen dieser dauersonnige Garten Eden nicht in seinem Bann. Und wenn das verwunschene Liebesmärchen in den ­Realitätsmodus switcht, die Söhne in die Welt gehen und mit jungen Frauen Forderungen und Verantwortung auf der Agenda stehen, könnte der Film zu Ende sein.
 
Doch Fontaine findet zwischen Märchen und Realität keinen schlauen Ausweg. Die hypnotische Anziehung, die von den Übermüttern noch im Oma-Zustand ausgeht, macht zwar in einem Alptraum Sinn. Psychologisch aber ist das Verhalten der zu Familienvätern gereiften Söhne nicht nachvollziehbar. Am Ende wirkt die kleine Insel, ein Ponton im Meer, auf die sich die vier Unzertrennlichen flüchten, wie ein Gefängnis.

Meinung zum Thema

Kommentare

Fontaine´s Ausweg zwischen Realität und Märchen ist durchaus richtig gewählt. Ians Liebe zu Ross ist durchweg echt und egal welche moralischen/sozialen oder gesellschaftlich üblichen Behauptungen dagegen sprechen.. du kannst nicht bestimmen in wen du dich verliebst und du kannst ebenfalls nicht bestimmen wann du aufhörst zu lieben. Ian hat seine neue, junge Frau nie richtig geliebt und hat dies in einem Gespräch mit Tom auch erläutert. Außerdem wollte er die Beziehung bereits kurz bevor das ungewollte Kind kam beenden. Ross hat über lange Zeit versucht Ihre Liebe zu Ian zu unterdrücken, Ian hat dies gar nicht erst versucht sondern lediglich hingenommen und Ross mehrfach wissen lassen, dass er niemals so gehandelt hätte. Psychologisch ist es definitiv nachvollziehbar und realitätsnah, dass Ian und Ross wieder zusammen finden. Das kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung bestätigen, da ich seit 6 Jahren mit einer 30 Jahre älteren Frau zusammen bin. Wir hatten in unserer Beziehung ähnliche Phasen, in denen wir aufgrund gesellschaftlichen Drucks oder der Annahme nicht normal zu sein, sogar zeitweise getrennt waren. Trotzdem kannst du nichts gegen deine Gefühle unternehmen und da die Gesellschaft glücklicherweise immer weltoffener und toleranter wird, wird es so etwas zukünftig immer öfter geben. Ein Mensch verliebt sich glücklicherweise nicht nur in das Aussehen des jeweils anderen.

Explizit die letzten beiden Absätze der Kritik von Birgit Roschy sind einfach unangebracht und nicht ansatzweise modern. Wieso sollte es ein Ende geben, in dem Ian mit einer Frau zusammen ist, die er nicht liebt und mit der er nur zusammen ist, weil sie ein Kind bekommen haben? Ein Ende, wie es sich Birgit Roschy wünscht, hätte nur Sinn, wenn Ian in der neuen, jungen Freundin wahre Liebe gefunden hätte. Dies hat er im Film aber nicht und dies ist keinesfalls realitätsfern. Dieser Film stößt wunderbar zum Nachdenken an. So verwunderlich wie die Liebe zwischen Ian und Ross in dem Film scheint, so verwunderlich sehen manche Menschen auch die Liebe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen. Nur weil man die Liebe nicht nachvollziehen kann, kann es sie trotzdem geben.

ein gelungener und sehr weltoffener Kommentar, danke dafür

Nachdem ich sowohl die Kritik wie auch die Kritik zur Kritik gelesen habe möchte ich mich bei Kai bedanken, denn es geht nichts, wirklich gar nichts über die eigene Erfahrung und daran lässt er uns teilhaben, das hat mich sehr berührt. Ja, die Liebe ist ein Wunder und trotzdem erscheint sie vielen als verwunderlich,wenn sie sie nicht nachvollziehen können, wie alles andere auch, das einem als nicht nachvollziehbar erscheint. Jetzt freue ich mich sehr auf den Film und bin absolut gespannt darauf, was mich erwarten wird. Danke !Es lebe die Liebe !!!

Beide Kommentare sind wunderschön geschrieben und einfach nur wahr; dem ist nichts hinzuzufügen!!

Ich stimme den beiden Kritiken voll zu. Es ist doch schön, wenn die Liebe zwischen zwei Menschen gelebt werden kann, egal wie groß der Altersunterschied ist. Ich war zunächst enttäuscht von dem konventionellen Ende, das dann aber eine erstaunlich fortschrittliche Wende genommen hat. Eine Wende, die zeigt, dass zusammen bleibt, was zusammen gehört, nämlich die beiden älteren Frauen mit den jüngeren Männern. Ich danke allen Menschen, die so mutig sind, ihre Liebe zu leben. Und besonders meinem Freund, der auch viel jünger ist.

Hallo liebe Leser, Schauer und Kritiker,
jetzt habe ich diesen Film auch gesehen.
* Na so was ! Erwartet hätte ich das hinreichend bekannte Ende von solchen Affären: alle „besinnen“ sich, werden „erwachsen“, lassen Federn und reihen sich wieder ein in die Konvention. Nicht so hier: aus einer Affäre wird ein Lebensentwurf. Alle tun ihr Bestes, aber Ian , der Ernsthafte, tut mehr; er sprengt die Ketten und macht ernst. G U T E N M O R G E N , wünscht er uns am Ende und steigt auf den Ponton, wohl bemerkt nach dem er, vermeintlich plötzlich, das Drama um die Zerstörung der Ehen, den Verlust der Kinder, und für Lil und Roz der der Enkelkinder in Gang gesetzt hatte. Ein Morgen, der die Jetztzeit meint und auch das Zukünftige. Das gibt reichlich zu denken!
* Gedacht haben schon einige Kritiker. Na so was! Das Imperium schlägt zurück, fällt mir ein. An vorderster Front: die Klassifizierer, willfährig und schlau; die Entlarver, An-Die-Wand-Nagler allesamt; Aufdecker und Abdecker. Sind sich einig in ihren Beurteilungen: Inzest, wo sichs nicht nachweisen lässt: Inzestuösität; Homosexualität jeglicher Sorte, wo sichs nicht nachweisen lässt: verdeckte Homosexualität; Realitätsverlust, Isolationsdrang, Gefängnisinsassen, Zukunftsverlust, Rachemotive, etc. Ach ja, noch: Waschbrettbäuche und Yummy Mummies und die falsche Weinsorte. Es soll kein Gras mehr wachsen, denn des Pudels Kern sei gefunden und das Eigentliche entlarvt. Diese Aufwiegler und Abwiegler haben mich empört: ihre Entdeckungen sagen mehr aus über die eigene Begrenztheit, und: sie sind hier leer, nichts sagend, und sie erhellen rein gar nichts. Warum geben sie sich damit zufrieden? Kennen sie nicht die triste Langeweile des ewig gleichen Lamentos!
* Folgen wir jedoch Ian, so könnten wir dem möglicherweise EIGENTLICHEN begegnen, dem, was die Geschichte bewegt: zwei Menschen (Lil und Roz) erkennen schon früh ihre Seelen-verwandtschaft aneinander und bestärken ihre Sehnsucht nach einem lebenswerten Leben in der Gegenwart der Andern. Sie gehen in freundlich liebender Zugewandtheit durch das Leben, möglichst gewaltfrei. Beide sind beruflich erfolgreich, haben Ehemänner, Freunde und Bekannte und zwei Kindern. Sie hören einander zu, sehen sich an, öffnen sich, trösten sich, verzeihen sich, ohne zu verurteilen oder zu bestrafen. Sie bestehen darauf zu bleiben, komme, was da wolle, in Leid, Verlust, Tod. Paradiesisch, nicht wahr. Das leben sie ihren Kindern vor (Ian und Tom) und wollen es weiter schenken an ihre Enkelinnen, wenn da nicht die Schwiegertöchter wären. Lil und Roz, Ian und Tom und die Enkelinnen sind erfüllt von diesem Faszinosum und kämpfen darum in jenem Paradies leben zu dürfen.
* Vielleicht können wir dieses Faszinosum nicht ergründen, aber wir können Wichtiges lernen : an dem WAS zum Beispiel diese beiden Frauen alltäglich miteinander tun und was sie nicht tun, WAS sie sagen und was nicht, WIE genau sie das machen, was sie tun; WANN und WARUM.
So könnte das Ganze Sinn machen, jenseits verdrießlicher Waschbrettbäuche, YummyMummies, der falschen Weinsorte und jenseits der unerquicklichen und willfährigen Unken. Und: HIER könnte sie liegen, unser aller nährende Zukunft. Könnte hier nicht auch unser aller Freiheit und Frieden begründet sein? Ian würde meinen: ich kenne es, ich will es, ich werde nicht darauf verzichten, und: es ist gut und MÖGLICH.

Ein Film, der anregt, über das Leben nachzudenken. Ein Film, der verzaubert. Ein Film, der öffnet. Ein Film, der einen daran erinnert, was Leben, Freiheit, Liebe, Frieden bedeutet. Ich liebe ihn!!

Dieser Film ist ein Traum!
Ich bewundere Paare mit

Der Film kam sehr spät im Fernsehen und ich war so gefesselt , dass ich ihn bis zum Ende gucken musste. Keine Langeweile. Ein Film zum Entspannen und Träumen.

Der Film ist perfekt und hat mich gefesselt und wirkt in mir nach: Drama, Tragödie, Liebesgeschichte und Romanze zugleich, ein großartiger mehrschichtiger Handlungsverlauf mit - ja - einem Happy-End, welches aber eine Bitternote in sich trägt: Denn nichts sieht danach aus, dass es zu einem "modus vivendi" mit den Ex-Frauen/Schwiegertöchtern und den Kindern/Enkelkindern kommen wird. Und solch eine Zerrüttung ist nicht trivial!
Ein großes Lob an Naomi Watts und Robin Wright sowie an die beiden Söhne. Die Handlung wird von ihrer schauspielerischen Leistung bravourös getragen, hinzu kommen die gute Kameraführung und eine sehr gelungene Filmmusik, besonders die Titel "Haunted Ocean", komponiert von Max Richter, und "Calisthenics-Adore" von Jacqui Hunt. Tatsächlich spiegelt die bezaubernde Meeresbucht mit der zentralen Badeinsel als Handlungsort die Selbstbezogenheit der vier Hauptfiguren, ihren nach außen abgezirkelten Lebenskreis wider. Aus diesem Kreis will man nicht heraus, und in diesen Kreis gelangt auch niemand hinein; er ist das Paradies der Vier, und diese sind in ihrer Selbstgenügsamkeit glücklich.
Abschließend ein Lob hinsichtlich der Filmkritik und der Kritik-Kritiken. Ich kann den abschließenden Bemerkungen von Frau Roscchy ebenfalls nicht beipflichten, aber ihre Perspektive ist der eigenen Reflektion und Bewertung dienlich.

Eine Hymne an 2 fantastische Schauspielerinnen: Naomi Watts und Robin Wright, die ich seit vielen Jahren bewundere! Was für ein großes Kompliment ist dieser Film für zwei Ausnahme-Talente! Keiner kann sich ihrem klugen Charme und ihrer natürlichen Erotik entziehen: Nicht die Männer und nicht die Enkeltochter, die immer nur "Ich will aber zur Oma" rufen. Wer kann es den jungen Männern übel nehmen, dass sie trotz aller Vernunft am Ende dem Charme dieser Wonderwomen verfallen bleiben. Denn außer ihrer Jugend haben die anderen Frauen dem nichts entgegenzusetzen. Die Tage am Strand sind das Paradies auf Erden. Nur ein Narr würde dieses Glück zugunsten einer ungewissen Zukunft aufgeben wollen. Und da stimme ich meinem Vorredner zu, nur die wahre Liebe könnte das ersetzen . Die wird jedoch in den jüngeren Frauen nicht gefunden .

In der letzten Szene hatte ich mir gewünscht, dass die vier eine Kette bilden und sich zumindest ihre Fingerspitzen berühren.

Danke für die persönlichen Einordnungen sowohl zum Film als auch zur „Erstkritik“ – hier für den Hinweis, wie wichtig diese als Vorlage zur Findung der eigenen Position ist.
Mich hat der Spagat sehr beeindruckt und berührt, wie beide Frauen auf ihre Weise mutig, tapfer und ernsthaft ringen mit den äußeren Konventionen und scheinbaren Limitierungen sowie den inneren Bewegungen, sich selbst und ihre Liebe auszudrücken – und wie die jungen Männer das „Urweibliche“ würdigen.

Der Film kann bestenfalls positiv bewertet werden, wenn man ihm attestiert, dass er die Frage aufwirft, wie alleinstehende, gut aussehende Mütter mit ihren adoleszenten Jungen umgehen und in die Erwachsenenwelt einführen. Dass Inzest, und darum handelt es sich eigentlich im Film, nie ein Erziehungsmodus sein kann, weil ein solcher jungen Menschen die Zukunft zerstört, zeigt der Film auch. Ebenso weist er darauf hin, dass Inzest sehr oft in sozial abgeschotteten Verhältnissen geschieht: Wie einst die Mütter als Kinder, kannten auch die Jungen neben ihren Müttern nur sich selber; ein weiteres soziales Umfeld fehlte. So viel zum evtl. einzigen positiven Punkt des Filmes.
Nun zum Negativen: Der Meeres-Hintergrund zur Problematik wirkt kitschig, auch wenn er vielleicht das Credo, Liebe sei ungestüm und rolle einfach über einem hinweg, versinnbildlichen soll. Die Dialoge sind hohl und machen den Film maximal mit den Filmen Eric Rohmers vergleichbar, aber sicher nicht mit der griechischen Mythologie.

Beim Kartenspiel ist die "queen" auf Deutsch eine Dame und keine Königin.

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