Disney, Fox, Netflix: Machtkampf in Hollywood

Disney, Fox, Netflix: Machtkampf in Hollywood

Da waren's nur noch fünf: Mit dem Mega-Merger zwischen Disney und 21st Century Fox verschwindet ein weiteres großes Hollywood-Studio von der Bildfläche. Es ist ein Deal der Superlative. Frank Schnelle über ein Beben in der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie, dessen Nachwirkungen noch lange zu spüren sein werden

Ist es der große Befreiungsschlag für Holly­wood? Ein Mega-Merger, mit dem sich ­eines der traditionsreichen Studios, die Walt Disney Company, fit macht für die digitale Zukunft? Oder sehen wir die letzten Zuckungen eines hundert Jahre alten Systems, das sich längst überlebt hat? Glaubt man der englischsprachigen Wikipedia, befinden sich die großen Studios seit Jahren im »zweiten Niedergang« und wir uns in einer neuen »Ära der Independents«. Während die Majors sich auf die Produktion von Sequels und Superhelden-Variationen beschränkten, heißt es da, kämen die kreativen Impulse zunehmend aus dem unabhängigen Bereich, was sich am Erfolg von Filmen wie »Spotlight« oder »Moonlight« ablesen lasse. Da ist sicher etwas dran. In der Gleichung fehlt allerdings ein Faktor mit wesentlich größerem Einfluss als die Indies, die – was die Prinzipien von Produktion und Distribution betrifft – ja gar nicht so anders agieren als die großen Studios: die neuen Player aus dem Streamingbereich, deren Siegeszug gerade erst be­gonnen hat.

Noch ist vollkommen ungewiss, ob der 20. März 2019 ein rettungbringendes Datum war oder doch bloß ein Etappensieg in einem Rückzugsgefecht. Die Maus habe den Fuchs gefressen und dabei »ein Monster geschaffen«, kommentierte der »Guardian«. »Oder besser: ein noch größeres Monster, als die beiden unabhängig voneinander ohnehin schon waren.« 71,3 Milliarden Dollar gingen über den Tisch, als der Marktführer nach rund anderthalbjährigem Ringen die zuletzt fünftplatzierte 21st Century Fox übernahm und sich nebenbei auch Firmen wie Fox Searchlight, Fox 2000 und Blue Sky einverleibte, dazu Sender wie FX Networks, National Geographic und einen 30-prozentigen Anteil am Streamingdienst Hulu. Disney musste das Fox Network samt diverser Sportsender auslagern, Sky verkaufen und in Brasilien und Mexiko einigen Konzessionen zustimmen, ansonsten aber leisteten die Kartellwächter erstaunlich wenig Gegenwehr – vermutlich in der Hoffnung, ein gestärkter Koloss sei besser als zwei taumelnde Konkurrenten.

Die Akquise ist der vorläufige Höhepunkt einer beispiellosen Shoppingtour, die bereits Blockbuster-Schmieden wie Marvel (»Avengers«), Lucasfilm (»Star Wars«) und Pixar (»Toy Story«) zu Teilen des Disney-Konzerns gemacht hat. Ab sofort zählen auch Fox-Franchises wie »Avatar«, »X-Men«, »Fantastic Four«, »Deadpool«, »Planet der Affen« und »Alien« zum Portfolio, dazu kommen Serien wie »The Simpsons«, »Family Guy« und »Modern Family«. Bis zum Monopol ist es nun schon gar nicht mehr so weit: Im Kinosegment wächst Disneys Marktanteil auf 35 bis 40 Prozent. Und allmählich erweist sich der Schriftsteller David Mitchell als wahrer Prophet. Schon 2004 beschrieb er in seinem futuristischen Roman »Cloud Atlas« eine Welt, in der Filme nicht mehr »Filme« heißen, sondern nur noch »Disneys«.

Wohin mit dem Tafelsilber?

Wer sind die Gewinner des Mega-Mergers? Ganz sicher Fox-Boss Rupert Murdoch, der bei dem Deal rund 12 Milliarden Dollar verdient haben soll und sich in Zukunft mehr ums Zeitungs- und Immobiliengeschäft kümmern will. Auch die Aktionäre hatten Grund zum Jubeln. Die Disney-Aktie kletterte im Monat nach der Verkündung um satte 25 Prozent. Davon dürfte auch Disney-CEO Bob Iger profitiert haben. Er sprach, vor allem im Hinblick auf die Übernahme der Fox-Library, von einem »historischen Moment«. Weniger zu lachen haben dürften viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des neu geschaffenen Mediengiganten. Da es sich um eine sogenannte »horizontale Fusion« handelt, also um den Zusammenschluss zweier ähnlicher Marktteilnehmer, müssen 5000 bis 10 000 Menschen um ihren Arbeitsplatz fürchten. Die Disney-Spitze hat für die kommenden ­beiden Jahre bereits Einspar-Synergien in Höhe von zwei Milliarden Dollar angekündigt. In der gesamten Branche gibt es Befürchtungen, Disney könne seine gewachsene Marktmacht noch rabiater ausnutzen, als es das ohnehin seit Jahren tut. Die Kinos leiden unter den hohen Verleihsätzen des Konzerns; einige boykottieren Disney-Produktionen komplett. Journalisten werden bei der Berichterstattung eingeschränkt oder erhalten keinen Zugang zu Pressevorführungen (wie 2017 vorübergehend die Mitarbeiter der »Los Angeles Times«).

Noch ist nicht abzusehen, wie sich die Fusion auf die Filmproduktion auswirken wird. Fest steht aber, dass die bisherigen Fox-Produkte weit schlechter zum Disney-Markenkern passen als frühere Akquisitionen. Die Helden aus dem Marvel Cinematic Universe, George Lucas' Sternenkrieger und die Pixar-Animationen zahlen perfekt ins Family-Image des Maus-Hauses ein – ­das Glibbermonster aus »Alien« oder der flachsende Söldner aus »Deadpool« sind dagegen echte Fremdkörper. Fox stand mit Titeln wie »The Sisters Bro­thers«, »Bohemian Rhapsody«, »Widows«, »Vice« oder »Beale Street« – um nur einige aus der jüngeren Produktion zu nennen – für eine Bandbreite, die Disney nie angestrebt hat. Wird Disney solche Titel zukünftig noch in Auftrag geben? Ganz zu schweigen vom Output der Arthouse-Divisionen Fox Searchlight (»Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«; »The Shape of Water«) und Fox 2000 (»The Hate U Give«, »The Favourite«), die zumindest vorerst in alter Form weiter bestehen sollen. Unterm Fox-Label dagegen wird wohl nur noch eine Handvoll Filme pro Jahr produziert. Wie schwer es werden dürfte, eine sinnvolle Strategie für die unterschiedlichen Konzernbestandteile zu entwickeln, lässt sich auch an den Blue Sky Studios ablesen. Die zeichneten bislang für die »Ice Age«-, »Rio«- und »Peanuts«-Movies verantwortlich und sollen unterm Disney-Dach weiterhin autonom produzieren. Braucht Disney neben der eigenen Animationsabteilung und Pixar aber tatsächlich ein drittes Animationshaus?

Aufstieg, Fall und immer so weiter: das Studiosystem

Da waren's nur noch fünf: Neben Disney gelten heute Universal, Paramount, Warner Bros. und Columbia als Majors – womit Hollywood ironischerweise wieder bei den »Big Five« angekommen ist, wie es sie in anderer Besetzung schon zur Gründerzeit des Studiosystems gab. Für zwei, drei Jahrzehnte war die Welt des US-Kinos damals relativ simpel und überschaubar: Mit festangestelltem Personal produzierte man Filme in hauseigenen Studios, um sie anschließend in hauseigenen ­Kinos zu zeigen. Ende der Verwertungskette!

Komplizierter wurde es Ende der 40er Jahre, als ein Entflechtungsurteil und das Aufkommen des Fernsehens den »ersten Niedergang« des Studiosystems auslösten. Die Produktion musste sich wandeln (ästhetisch mit Gegenmaßnahmen wie Farbe und Widescreen; ökonomisch durch andere Geschäftsmodelle), zugleich wurde die neue Konkurrenz umarmt – durch Fusionen, Übernahmen, Neugründungen, die ein stetes Zusammenwachsen von Kino- und TV-Unternehmen zur Folge ­hatten. Diesem Muster folgt die Hollywood-Evolution seither mit schöner Regelmäßigkeit: Auf den technologischen Wandel folgt eine Krise, die zu Anpassung und Neuerfindung führt, meist in Form von immer größeren, immer breiter aufgestellten Konglomeraten. Bislang vollzog sich der Wandel in relativ großen Schritten. Von der Einführung des Fernsehens bis zur Videokassette vergingen rund dreißig Jahre, die DVD folgte zwei Jahrzehnte, die Blu-ray ein weiteres Jahrzehnt später. Das ließ den Studios Zeit, sich in den jeweils neuen Strukturen einzurichten, zumal sich trotz neuer Medien und Technologien am Prinzip kaum etwas änderte: Auf die Kinoauswertung folgten Home Video und Pay-TV, dann die Auswertung im Free-TV. Der digitale Wandel, der die Musikbranche praktisch halbiert hat, die Printmedien zu vernichten droht und die herkömmlichen Fernsehsender zunehmend unter Druck setzt, hat dem Hollywood-Geschäft bis vor wenigen Jahren erstaunlich wenig zugesetzt. Inzwischen aber gerät die alte Ordnung auch hier aus den Fugen.

Die neuen großen Player

Die Gamechanger heißen natürlich Amazon und Netflix. Als DVD-Verleih ursprünglich noch ein Teil der traditionellen Verwertungskette, hat Netflix inzwischen nahezu sämtliche Regeln des Film- und TV-Geschäfts neu formuliert. Die freie Verfügbarkeit einer rasant wachsenden Library, der Wegfall sämtlicher Verwertungsfristen und -fenster, auf einen Schlag veröffentlichte Serienstaffeln: Die neue digitale Freiheit hat das US-Unternehmen binnen weniger Jahre zu einer schier unglaublichen Erfolgsstory gemacht. Seit dem Start im Jahr 2007 ist der Börsenkurs um 8 000 Prozent ­gestiegen, weltweit »bingen« inzwischen über 150 Millionen Menschen. Netflix investiert jährlich weit über zehn Milliarden Dollar in Eigenproduktionen und profitiert dabei im Vergleich zu den traditionellen Produktionsfirmen von zwei wesentlichen Vorteilen: Produktionsentscheidungen basieren auf den selbstgenerierten User-Daten (angeblich stand schon vor den Dreharbeiten zu »House of Cards« fest, dass die Serie ein Hit werden würde); und die Investoren interessieren sich vor allem für Marktanteile, weniger für die Nutzerzahlen einzelner Titel.

Amazon veröffentlicht seine Eigenproduktion nach ähnlichen Kriterien wie Netflix, beteiligt sich aber häufiger an Kinokoproduktionen. Der Handelsriese hat ganz andere Interessen als alle anderen Produzenten am Markt: Er macht Filme und Serien, um Kunden als Prime-Mitglieder zu gewinnen. Der Erfolg bemisst sich weniger in Klickzahlen als in Shopping-Umsätzen. Oder um es mit Jeff Bezos zu sagen: »Wenn wir einen Filmpreis gewinnen, hilft uns das, mehr Schuhe zu verkaufen.«

Für ein paar Jahre konnten diese beiden Player relativ ungestört ihr Geschäft aufbauen. Von Hollywood zunächst als internet­basierte Home-Video-Ergänzung unterschätzt, die zusätzliche Lizenzgebühren in die Kassen der altehrwürdigen Studios spülen sollte, haben sie die Ansprüche und Sehgewohnheiten des Publikums so dramatisch verändert, dass der Markt sich nun zu einer Reaktion gezwungen sieht.

Das Imperium schlägt zurück

Willkommen also in den »Streaming Wars«, dem Kampf um den rasant wachsenden Video-on-­Demand-Kuchen (2018: 35 Milliarden Dollar, zehn Milliarden mehr als 2017). Nur in diesem Kontext ergibt der Fox-Deal für Disney einen Sinn. Das Studio folgt im Grunde dem alten Reflex »Anpassung und Neuerfindung«, um sich für einen Frontalangriff auf Netflix in Stellung zu bringen. So glaubt der Konzern den Anforderungen der digitalen Ära gerecht werden zu können. Schon 2016 erwarb man für mehr als zwei Milliarden Dollar die Streaming-Technologie-Firma BAMTech, um perspektivisch über die geeignete Technik zu verfügen. Dazu kam die Jagd nach dem Content. Die Fox-Library mit Hunderten Filmen und Tausenden Serienepisoden ist dabei die ideale Ergänzung zum eigenen Back-Katalog. Und so wird der für Herbst 2019 angekündigte Streamingkanal Disney+ gute Chancen haben, sich neben Netflix als Must-have zu etablieren, zumal Disney auch exklusive Serien aus dem »Star Wars«-Universum und Filme wie ein »Susi und Strolch«-Remake angekündigt hat. Mittelfristig werden Amazon und Netflix durch den Verlust älterer und neuer Disney- und Fox-Titel zusätzlich geschwächt – die werden ­künftig nur bei Disney+ zu sehen sein.

Neben Disney, das mit dem Sportkanal ESPN+ und dem vor allem in den USA erfolgreichen Strea­mingdienst Hulu (bei uns nicht zu empfangen) zwei weitere Angebote parat hat, drängen auch andere auf den neuen Markt. WarnerMedia (»Harry Potter«, »Batman«, »Superman«, »Herr der Ringe«) und NBCUniversal (»Jurassic World«) planen ebenso eigene Streamingangebote wie die Computergiganten Facebook, Google und Apple, die sich längst nicht mehr mit ihren Kerngeschäften zufriedengeben. Apple beispielsweise will eine Milliarde Dollar in frisches Programm investieren und hat dazu Verträge unter anderem mit Steven Spielberg, M. Night Shyamalan, Reese Witherspoon und Jennifer Aniston abgeschlossen. Nach der ersten Programmpräsentation waren Beobachter allerdings mäßig beeindruckt. Film- und Serienfans müssen sich also auf unübersichtliche Zeiten einstellen. Da es eher unwahrscheinlich ist, dass Einzelhaushalte ein halbes Dutzend oder mehr Abos abschließen werden, wird es früher oder später zu neuen Allianzen oder Übernahmen kommen.

Die spannende Frage lautet, ob die Disney-Strategie langfristig aufgehen wird. Der knapp 100 Jahre alte Konzern hat für Disney+ viel Geld investiert, muss außerdem Verwaltungsstrukturen aufbauen und große Marketinganstrengungen unternehmen, um bis Ende 2019 die angepeilten zwei Millionen Abonnenten zu gewinnen (während das gut zehn Jahre alte Netflix fest im Sattel sitzt). Ein großes Problem wird auch der Wegfall der Geschäfte sein, die Disney bislang mit Netflix gemacht hat. Schätzungen zufolge benötigt Disney allein sieben Millionen Abonnenten, um diesen Verlust (jährlich 300 bis 500 Millionen Dollar) auszugleichen, und rund 40 Millionen Abonnenten, um in die Gewinnzone zu kommen. »Es ist Unsinn, dass jetzt jeder seinen eigenen Streamingdienst aufbaut«, zitiert der »Hollywood Reporter« einen Analysten. »Der Streaming-Krieg wird alle Beteiligten viel Geld kosten. Es wäre viel besser, wenn zum Beispiel die Besitzer von Hulu (Disney, Comcast und Warner Bros.) sich damit zufriedengäben, ihren Content an Hulu zu lizensieren.«

Die Maus geht also ins Risiko. Nicht auszuschließen, dass sie eines Tages selbst gefressen wird.

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Gratulation für diesen informativen Artikel und die gute Recherche.

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