Retrospektive: »Abwege« (1928)

»Abwege« (1928). Quelle: Filmmuseum München

Wieder eine Erstaufführung eines restaurierten Stummfilmes; Materiallage hervorragend, tolles Bild; und schön neu viragiert, unaufdringlich – anders als »Opium« –, sehr fein und stimmig. »Abwege« von Georg Wilhelm Pabst, ein »kleiner« Film von 1928. Kein großes Melodram, kein großes Drama, einfach eine Geschichte einer Ehe. Eine Geschichte von Vernachlässigung und von Männern, die sich wegducken. Und von einer Frau, die mehr will, mehr sein will als bloß Ehefrau zuhause.

Rechtsanwalt Beck hat viel zu tun. Selbst, als seine Frau mit ihm streitet, telefoniert er und studiert Akten. Sie rauscht ab. Ein Maler verehrt sie ganz offensichtlich, sie planen die Flucht nach Wien. Das klappt nicht. Die Freundin ist im Nachtklub Eldorado, da ist ein Ausweg möglich. Irene wird mit Luftschlangen beworfen, der Trubel ist ihr fremd, sie lässt sich dennoch fallen. Wilder Tanz, Luftballons, angheiterte Gesellschaft. Rauschgift. Rauschgift hilft. Irene wird munter. Und schnell ernüchtert. Die Heimkehr ist demütig. Sie versöhnt sich mit Thomas, dem Ehemann. Sie schlüpft ins Bett. Erwartet ihn. Doch gekränkter Stolz, aufgewühlte Gefühle, die Ehre verhindern die Besiegelung des Beisammenseins. Zumal, als am nächsten Tag, zur Teezeit, die Party im Bett von Irene weitergeht. Sie ganz verkatert, um sie herum der Spaß. Ihre Freundin, mit kecker Locke in der Stirn, umgarnt den Herrn Oberregierungsrat, der schon in der Nacht zuvor seine Hemmungen hat fallen lassen. »Du bist kein Mann!« – Thomas hat nicht den Mumm, die Gesellschaft rauszuwerfen.

Irene wird gespielt von Brigitte Helm, wunderschön und zugleich ganz normal, glamourös und alltäglich. Der Maler ist bezaubert von ihr, zeichnet sie im Profil – was für ein tolles Profil! –, der Zuschauer ist ihr auch verfallen. Weil ihre Einsamkeit sich klar darstellt, der Zwiespalt, in den sie sich stürzt, die Sehnsucht in ihr, das Unbefriedigte. Ein Boxchampion soll's richten, ist er ein möglicher Mann für sie? Doch der definiert sich nur über seinen Körper. Der Maler: Ein Bubi, der sich immer wegduckt, ohne Rückgrat, ohne Anstand. Der Ehemann: Verdrückt sich abends in den Club, weiß ansonsten: »Du bist krank, mein Kind«, wenn seine Frau verzweifelt ist über seine Haltung zur Ehe.

Alltag. Kein großes Ding. Eine Frau auf Abwegen, ein Film, der nicht die Moralkeule schwingt, sondern zeigt. Das Sein und die Möglichkeiten. In »Der Himmel auf Erden« war es noch komödiantisch, Zwischentitel dort: »Wenn sich die Türen (des Standesamtes) wieder öffnen, sind zwei hoffnungsvolle Menschen lebenslänglich gefangen. Das Gute ist, sie wissen es nicht.« In »Abwege« erfährt es die Frau. Sie handelt, aber was soll sie schon tun?

Es endet ungefähr wie Kubricks »Eyes Wide Shut«: Nach der größtmöglichen Spaltung finden sie wieder zusammen, die beiden Partner müssen dringend wieder ein Paar werden.

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