Retrospektive: »Der Himmel auf Erden« (1927)

»Der Himmel auf Erden« (1927). Quelle: Deutsche Kinemathek

Der Abgeordnete Traugott Bellmann hat zwei Gründe, nervös zu sein: Jungfernrede im Parlament, und davor Standesamt. Hochzeit klappt, auch wenn das vorherige Paar trödelt (was für ein Bild: Braut und Bräutigam recht stämmig, füllen den ganzen Türrahmen, durch den Bellmann hindurcheilen will. Und dann die Zeugen: Lang und dürr, aber genauso unüberwindlich). Die Rede im Hohen Haus: Manuskript verloren, er muss improvisieren. Und wettert in seiner Not gegen die Unmoral der Nachtlokale. Problem Nr. 1: Sein frischgebackener Herr Schwiegerpapa ist Sektfabrikant und verdient am Nachtleben. Problem Nr. 2: Ein Bote kommt mit einem Brief: Bellmann erbt 500.000 Mark und das Lokal »Himmel auf Erden«, allabendliche Anwesenheitspflicht inklusive. Problem Nr. 3: Er wird Ehrenpräsident des Sittlichkeitsvereins. Problem Nr. 4: »Hochzeit machen ist wunderschön, wenn man nicht um 10 Uhr 500.000 Mark und ein Nachtlokal erben muss«, so einer der pointierten Zwischentiteln. Problem Nr. 5: Das Fräulein Braut freut sich auf die Hochzeitsnacht. Problem Nr. 6... Problem Nr. 7... Und so weiter.

Wir sind, wer hätt's gedacht, in einem Schwank. Handlung: Vorhersehbar. Thema: Das bürgerliche Subjekt wird von den bürgerlichen Institutionen zerlegt. Durchführung: In den Händen von Reinhold Schünzel. Und welch begabte, wunderwirkenden Hände er hat! »Der Himmel auf Erden« ist ein perfektes Beispiel für perfektes Timing – und es ist bei einer Länge von 113 Minuten umso schwieriger, es niemals zu lang werden zu lassen. Kluge Retardierung und geplante Eskalation: Immer wieder Bellmanns Diener, hinkend zum Beistelltischchen, wo die weißen Handschuhe liegen, dann humpelnd zur Tür, wo irgendwer Einlass begehrt: Eine Jazzcombo, die Sittlichkeitssänger, ein englisches Mädchenpensionat vulgo halbnackte CanCan-Tänzerinnen, ein Affe... Dazwischen der Herr Bellmann, gespielt von Schünzel selbst, völlig überfordert, bis er sich's in seiner Überforderung gemütlich macht. Immer wieder erinnert er an den frühen Bill Murray... Oder an Mr. Bean.

Das Spiel mit der Sittlichkeit wird weit getrieben, wir tauchen mitten hinein in die Goldenen Zwanziger, wie sie in unseren Köpfen überlebt haben, die hier mit so viel Witz porträtiert werden. Bis am Ende natürlich Bellmann in Frauenkleidern rumrennen muss durch sein Lokal, damit er nicht erkannt wird, und heftig vom Schwiegervater umgarnt, schließlich enttarnt wird: Wie konnte er mit so einer unglücklichen Veranlagung heiraten, wo er sich doch abends offenbar als Kokotte rumtreibt! Als Frau betritt er die Tür mit »D«, als Mann kommt er aus »H« heraus...

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