Retrospektive: »Opium« (1919)

»Opium« (1919). Quelle: Filmmuseum München

»Opium«: Zunächst einmal ein handelsüblicher Stummfilm mit melodramatischer Kolportagehandlung. Seifenoper pur, dargestellt in unglaublich expressiver Spielweise, die heute so leicht unfreiwillig komisch wirkt. Werner Krauß als Chinese gibt alles, um so richtig böse und durchtrieben zu sein, blickt tückisch, schleicht sich ins Bild, um den anderen Protagonisten das Fürchten zu lernen (übrigens interessante Bildkompositionen, wenn Krauß irgendwo seinen Kopf dazusteckt, was die Balance des Bildes erschüttert.) Krauß spielt Nung-Tschang, Opiumhändler und Feind aller Europäer. Denn einst hat ein weißer Arzt ihm die Frau gestohlen. Diesen Dr. Armstrong hat er mit seinem Gift zerrüttet, die geliebte Frau umgebracht; die Tochter – Frucht der Sünde namens Sin – hält er gefangen. Bis Eduard Winterstein als Prof. Gesellius daherkommt, Erforscher des Opiums, und ihm Sin raubt. Die Rache wird fürchterlich sein!

Dabei ist es zuhause in Gesellius' Sanatorium schon schlimm genug, wie er leidvoll feststellen muss. Sein Assistent hat was mit seiner Frau angefangen – Conrad Veidt tut auch alles, um seine inneren Qualen, den Freund hintergangen zu haben, schön ausdrucksvoll zu veräußerlichen. Wie ohnehin viel Seelenpein zu sehen ist; denn Dr. Armstrong – Vater von Veidts Figur und eben auch von Sin – kommt ebenfalls dazu, es ist ein fürchterlicher Schlamassel. Trost spendet das Opium, welche Ironie: Will Gesellius doch ein Haus des Glücks errichten, das die armen Seelen heilt, die dem Rauschgift zum Opfer gefallen sind... Nun treibt er selbst hinein in die Welt des Rausches...

Und wenn die Räusche anfangen, dann wird es wild. Dann wird es psychedelisch. Dann wirds super! Nackte Nymphen an einem See, tanzend, springend, dazwischen Satyre und Faune, auf Ziegen reitend – die ganze unterdrückte Sexualität wird hochgespült. Tatsächlich habe ich »Opium« schon einmal gesehen, vor vielen Jahren – an den ganzen Quatsch drumrum kann ich mich nicht erinnern, die traumhaften Rauschszenen aber... Und hier, in dieser Fassung, kommen die fetten Farben der Virage hinzu; und Zwischentitel, expressiv angepasst an die Handlungsorte – die chinesisch-artigen Buchstaben sind kaum zu entziffern...

Freilich war das damals sicherlich eine rudimentäre Fassung; denn hier lief die Welturaufführung des von den Filmmuseen in München und Düsseldorf restaurierten Films, der Versuch, möglichst nahe an die 1921 zensierte und gekürzte Premierenfassung heranzukommen. Kein leichtes Unterfangen, weil es zu jeder Szene auch alternative Einstellungen gab, Drehbuch etc. aber nicht erhalten sind. Puzzlearbeit und Ratespiel.

Und was für ein wilder Film ist hier rausgekommen! Ja gut, manchmal komisch. Wenn Veidts Figur aus Schock über die Ergeignisse die Stimme verliert und alles aufschreiben muss, auf eine große Tafel, damit es auch der  Zuschauer lesen kann... Aber irgendwann, im letzten Drittel, da verwischen sich Rausch und Traum und Wirklichkeit und Film, weil die Handlung vollends losgelassen wird: Wir kommen nach Indien, Gesellius fängt was an mit der Frau des Maharadschas, der böse Chinese als Racheengel immer auf seinen Fersen, die Stadt steht in Flammen, als Strafe: Verbannung in den Löwendschungel (der aussieht wie Mischwald der gemäßigten Zone, aber immerhin mit vielen Raubkatzen).

Das Glück will Gesellius erhalten. Das Glück, das in diesen schweren Zeiten für viele abhanden gekommen ist. Deutliche Anspielung auf den Weltkrieg, gerade erst vorbei. Und das ist natürlich eine wichtige Lesart des Films: Das Opium als Verdrängungsmechanismus, der kurzfristiges Glück bietet, langfristiges Elend beschert... Heilung ist möglich, aber schmerzhaft, weil das süße Vergessen nicht mehr möglich ist... Und natürlich das Trauma des Heimkehrers von der Front, dass die Frau mit einem Daheimgebliebenen zusammenlebt... Und so sehr der Film auch die Qualen beklagt, die das Opium hervorruft – es sind süße Qualen, das zeigt er auch. Die im schlimmsten Falle Erlösung bringen.

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