Serien-Tipp: »American Gods«

© Amazon Studios

Wie in Wasser geworfene Tintentropfen ...

Aus dem Flachbildschirm heraus quatscht Media, in Gestalt von Sitcom-Erfinderin Lucille Ball, den vorübergehenden Shadow Moon schräg von der Seite an – der sich natürlich wundert, warum plötzlich der Fernseher zu ihm spricht. Er solle Technical Boy dessen Überschwang nicht allzu übel nehmen, meint Media, und zu ihnen überlaufen, sie verträten die letztlich siegreiche, zumindest die erfolgversprechendere Partei. Technical Boys Schergen hätten Shadow Moon in der Nacht zuvor beinahe gelyncht, wenn da nicht jemand dazwischengegangen wäre. Aber nicht nur deswegen ist Shadow Moon an Medias Angebot wenig interessiert. Im Moment ist er nämlich mit dem Einkaufszettel und im Auftrag von Mr. Wednesday unterwegs, seinem neuen Arbeitgeber. Und der heißt nicht umsonst wie der einstmalige »Wotanstag«, schließlich ist dies SEIN Tag und ihm, Gottvater Odin, gewidmet.

Die alten Götter treten gegen die neuen Götzen an. Die Mythen der Vergangenheit treffen auf die Heilsversprechen der Gegenwart. Sie tun dies in »American Gods«, dem 2001 veröffentlichten, fantastischen Roman des Engländers Neil Gaiman (auf dessen Konto unter anderem der Graphic-Novel-Meilenstein »The Sandman« geht). Und sie tun dies nunmehr auch in der auf Gaimans Roman beruhenden Serie, die im Auftrag des amerikanischen Kabelsenders Starz produziert wurde. Federführend verantwortet wird die Adaption von Bryan Fuller und Michael Green, während Gaiman als einer der ausführenden Produzenten fungiert.

Buch wie Serie werden von kultkonkurrenten Auseinandersetzungen motiviert, die weitaus unterhaltsamer ausfallen, als das trockene Wort vermuten lässt. Zur Begriffsklärung: Unter »Kultkonkurrenz« versteht die Religionswissenschaft Eroberung und Besetzung eines von einem bestimmten Glauben beherrschten Geländes durch einen anderen, Um- und Neuinterpretation der alten Symbole und Bräuche, gefolgt von deren Aneignung und Eingemeindung. Das Osterfest ist hierfür ein schönes Beispiel, vereint es doch die Fruchtbarkeitssymbolik heidnischer Begrifflichkeiten (repräsentiert in Ei und Hase) mit DEM zentralen Heilsereignis des Christentums (Auferstehung).

»American Gods«, von Gaimans dichterischer Freiheit beflügelt, geht nun davon aus, dass die alten Götter dermaleinst mit den Einwanderern nach Amerika kamen, wo sie sich mehrten, solange die Menschen an sie glaubten und ihrer huldigten. Mit dem Anbruch der modernen Zeiten allerdings, dem Ausbruch der Medien, der Explosion von Kapitalismus und digitaler Technologie geraten die alten Götter in zunehmende Bedrängnis. Hier tritt Odin auf, der Allvater der nordischen Mythologien, und versammelt die Versprengten, um zum Gegenschlag auszuholen. Vielmehr, er versucht es. Denn Internet, Fernsehen und die Mächte des Marktes wollen den Olymp, auf den die Menschen sie gehoben haben, nicht freiwillig räumen. Odin (mit Ian McShane ideal besetzt) rekrutiert den gerade aus der Haft entlassenen, kürzlich verwitweten Shadow Moon (dem Ricky Whittle äußerst ansehnliche Gestalt verleiht), ihm bei seinem Unterfangen zu helfen – und ab geht’s in ein wildes Paralleluniversum, in dem die spirituelle und die materielle Welt permanent und mühelos ineinandergreifen wie ein in eine Schale Wasser geworfener Tintentropfen. Von vergleichbar eleganter Schönheit darf man sich auch Setting und Spezialeffekte vorstellen. Zudem wird – das legen zumindest die ersten vier Episoden der Serie nahe – der überbordende Reichtum mythologischer Bezüge, den die Vorlage bietet, nicht verdünnt zugunsten leichterer Konsumierbarkeit. So wie es aussieht, darf Gaimans Rhizom sich frei nach allen Richtungen und in alle Dimensionen verknüpfen, und wurzelnd in den Sagen und Legenden, ausschlagend ins Reich der Nullen und Einsen, hat es den Blick dabei fest ins Transzendente gerichtet.

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