Taika Waititi: Plötzlich ein Riesenbudget

Taika Waititi am Set von »Thor: Tag der Entscheidung« (2017). © Walt Disney

Taika Waititi am Set von »Thor: Tag der Entscheidung« (2017). © Walt Disney

Blockbuster von Indie-Regisseuren drehen zu lassen, ist nicht neu. Mit dem Neuseeländer Taika Waititi hat Marvel aber einen ganz Eigenwilligen an Bord geholt

Charmant schräge Jungs und Kindmänner, die den Widrigkeiten ihrer Existenz mit unbändiger Fantasie auf immer neue Weise trotzen: eine zarte Burger-Verkäuferin und ein merkwürdiger Typ mit einer Vorliebe für Videospiele und Adler, deren versehrte Seelen sich gegen alle Wahrscheinlichkeit finden, in »Eagle vs Shark«. Ein kleiner Junge, dessen Mutter bei der Geburt seines jüngeren Bruders gestorben ist, der für Michael Jackson schwärmt und die heroische Vorstellung vom abwesenden Vater mit der harschen Realität abgleichen muss, in »Boy«. Ein Haufen uralter Blutsauger, die sich in »5 Zimmer Küche Sarg« mit den banalen Alltagswidrigkeiten des WG-Lebens herumschlagen müssen. Und schließlich ein schwer erziehbarer, pummeliger Waisenjunge, der im Laufe eines Buddy-Abenteuers mit einem grantigen Pflegevater in der neuseeländischen Wildnis eine Heimat für seine geschundene Seele findet, in »Wo die wilden Menschen jagen«. Lauter versehrte Helden, die allen Grund hätten, zu verzagen, und die trotzdem in kleinen, intimen Geschichten unbeirrbar um einen Platz im Leben kämpfen. »Auch wenn ich selbst wohl eher dazugehöre und beliebt bin, interessieren mich Außenseiter am meisten«, erklärte Taika Waititi, als er »5 Zimmer Küche Sarg« – im Original: »What We Do in the Shadows« – 2014 auf der Berlinale vorstellte: »Die Leute, die nicht reinpassen, sind in der Regel viel interessanter. Und Außenseiter zu sein, heißt ja nicht, dass man zwangsläufig schräg und sonderbar ist, sondern vor allem, dass man originell ist.« Mit kleinen, eigenwilligen Independent-Movies und verspielt handgemachtem Flair hat Taika Waititi ausgehend von seiner Heimat Neuseeland immer mehr Menschen bezaubert, auf Festivals, aber auch in den Kinos. Und für seinen elfminütigen, schwarzweißen Kurzfilm »Two Cars, One Night« über die Maorikinder Romeo und Polly, die nachts allein in den Autos ihrer in der Bar versackten Eltern die Verhaltensmuster der Erwachsenen durchspielen, bekam er schon 2004 eine Oscar-Nominierung.

Nun also »Thor«: Geht einer wie Waititi in der Monster-Maschinerie eines Multi-Millionen-Blockbusters nicht unter? Das Angebot, »5 Zimmer Küche Sarg« in Hollywood zu drehen, hatten er und sein Comedykumpel, Koregisseur und -autor Jemaine Clement vor ein paar Jahren noch dankend abgelehnt: »Wir wollten den Film lieber auf unsere Weise machen und uns nicht von irgendwelchen Studioleuten reinreden lassen. Die hätten uns nicht erlaubt, einfach unsere Freunde zu besetzen. Eine Weile dachte ich, Amerika ist ganz schön cool und aufregend, ich wollte gerne in diesem System arbeiten. Inzwischen ist es mir egal, ob ich dort akzeptiert werde oder nicht. Lieber ist mir, das zu tun, was mir gefällt, und mich damit für den Rest meines Lebens gut zu fühlen.«

Warum also jetzt doch der Pakt mit dem Teufel? Und dann gleich so ein Mega-Marvel-Franchise? Auf der Comic-Con in San Diego klang es ein bisschen so, als sei ihm das nebenbei passiert – weil er einem Freund aus der Patsche helfen wollte. Chris Hemsworth sei gelangweilt gewesen von seiner Thor-Rolle: »Ich sah einen Freund in Not. Wenn ein Freund Hilfe braucht, bin ich da. So bin ich einfach, das ist meine Natur. Selbst wenn es bedeutet, dass ich so ein gigantisches Projekt auf mich nehmen muss. Ich bin einfach nur einem Freund zu Hilfe geeilt!« Damit hat er das große Monster-Movie-Ding, an das die geldgebenden Studiobosse und Millionen von Comic- und Superheldenfilmfans enorme Erwartungen knüpfen, kurzerhand auf freundschaftlich-familiäre Dimensionen heruntergebrochen. Und schon ist man wieder mitten drin im Taika-Waititi-Universum, in dem es vor allem darum geht, den Widrigkeiten und Zumutungen des Lebens mit Fantasie, Abenteuer und Freundschaft zu trotzen. Superhelden sind ja letztlich auch nichts anderes als kleine Jungs in Männergestalt, Außenseiter am Rande der Gesellschaft, die für die Rettung der Welt zwar gebraucht, aber nie wirklich verstanden und akzeptiert werden. Die fehlenden Familienbindungen kompensieren sie im Verbund ihrer skurrilen Gefährten, in der Ersatzfamilie der Freunde. Und nachdem in den letzten Jahren mit »Ant-Man«, »Deadpool« und den »Guardians of the Galaxy« die echten Misfits unter den Marvel-Superhelden die Herzen der Zuschauer vor allem mit Komik und Gefühl eroberten, erscheint Taika Waititi eben doch genau die richtige Wahl, um diese neue Richtung weiter auszubauen. Vermutlich hilft es auch, dass die Filmemacher vom andere Ende der Welt, aus Australien und Neuseeland, ohnehin eine gesunde Respektlosigkeit gegenüber Hollywood pflegen. Jedenfalls vermittelt Waititi nicht den Eindruck, als würden ihn die Riesenbudgets oder die Dimensionen des Franchises in irgendeiner Form beeindrucken: Egal, ob man kleine oder große Filme mache, am Ende zähle nicht das, was drumrum passiert, sondern nur das, was in diesem kleinen Rechteck des Bildausschnitts liegt.

»Deadpool« (2016). © 20th Century Fox

»Filmemacher? Ist nicht mein Job«, verkündete Taika Waititi 2010 bei einer TED-Konferenz zum Thema Kreativität, »mein Job ist es, mich auszudrücken und meine Ideen und Ansichten zu teilen. Zufälligerweise benutze ich dazu im Moment gerade das Filmemachen.« Angefangen hat Waititi als Maler und bildender Künstler, als Illustrator, Performancekünstler, Standupkomiker, Schauspieler und Poet, er arbeitete im Bereich der Mode, der Fotografie, der Animation, bis er irgendwann merkte, dass das Kino ein Amalgam dieser Ausdrucksmittel ist. In seinen Filmen findet man die verschiedenen Elemente wieder, in den handgezeichneten Trickfilmen in »Eagle vs Shark« (2007) oder in den Haiku-Gedichten, in denen sich der kleine Ricky in »Wo die wilden Menschen jagen« (Hunt for the Wilderpeople, 2016) seine Sorgen von der Seele dichtet. Beim Schauspielstudium an der Victoria University in Wellington begegnete Waititi dem Komiker Jemaine Clement, der wie er halb Maori, halb Weißer ist, ein Außenseiterstatus, den die beiden kreativ nutzen. Seitdem zelebrieren sie in diversen Comedytruppen und Filmprojekten denselben schrägen Humor und arbeiteten sich eine Zeit lang gemeinsam an der »schmerzlichen Komödie des Erwachsenwerdens« ab: »Ich glaube daran, dass trotz unserer Fehler und Unzulänglichkeiten, trotz all dieses Leids und dieser Herzensqualen immer noch Raum fürs Lachen bleibt«, sagt Taika Waititi. Für seine kleinen Helden bedeutet das vor allem, dass sich aus jeder noch so aussichtslosen Situation Schlupflöcher zu Fantasie, Komödie und Abenteuer eröffnen.

Auf wirklich wahrhaftige Weise kann man solche Geschichten natürlich nur erzählen, wenn man sich selbst zur Disposition stellt. Entsprechend nah dran waren die Sketche, Serien und Filme dann auch immer an der eigenen Lebenserfahrung, etwa die beiden Neuseeländer, die es in der Fernsehserie »Flight of the Conchords« (2007-2009) mit ihrer Comedy-Folkband in New York schaffen wollen und dabei zwischen behaupteter Coolness und realer Peinlichkeit einen komischen Abgrund aufreißen. Auch in Taika Waititis erstem langen Film »Eagle vs Shark« überspielt der von Jemaine Clement verkörperte Eagle seine himmelschreienden Unzulänglichkeiten mit einer großspurigen Attitüde, aufgrund derer sich die Verlorenheit und Unsicherheit dahinter nur umso deutlicher offenbart. Zwischen ihm und der leisen Lily bahnt sich eine wundersam zarte Liebesgeschichte an, die Taika Waititi mit einem handgemachtem Charme entfaltet, in dem sich die improvisierten und fantasiestrotzenden Lebensentwürfe seiner Helden spiegeln: Da tragen die Erwachsenen auf einer Mottoparty selbstgebastelte Kindertierkostüme, zwei Schlafsäcke bewegen sich mittels Stop-Motion-Trick wie bunte Würmer durch die Landschaft, und die kleinen Zeichentrickfilme reichern den Realfilm mit Ideen und Phantasien an.

In dem Mockumentary »5 Zimmer Küche Sarg« übertrugen Clement und Waititi dann ihre eigenen WG-Erlebnisse auf eine Wohngemeinschaft von Vampiren: »Als wir die Idee hatten, lebten wir in dunklen, kalten Häusern, in denen niemand das Geschirr gespült hat«, erinnert sich Waititi. Zuvor hatten sie einfach mal alles auf eine Liste geschrieben, was sie gerne sein oder machen wollten: Vampire, Aliens, Krieger, griechische Helden. Eine Band gründen, ein Theaterstück inszenieren, einen Comic schreiben ... Das Vampirthema blieb hängen, ebenso Waititis Idee, einen Film über etwas völlig Unrealistisches so zu drehen, als wäre es ganz real, eine Dokumentation über etwas frei Erfundenes.

Was also machen Vampire eigentlich, wenn sie gerade nicht mit all den aufregenden Dingen beschäftigt sind, von denen sonst im Kino immer so erzählt wird? Die Flucht vor Knoblauchzehen, Sonnenstrahlen und Silberkugeln nimmt da jedenfalls nur noch den kleinsten Teil des Tagesablaufs ein. Stattdessen ganz banaler Blutsauger-Alltag, eingefangen mit den Mitteln des Reality-TV: Zermürbende Streitereien über die Berge blutverklebten Geschirrs, die niemand abwäscht, der Frust über Mitbewohner, die kein Handtuch auf dem guten Sofa ausbreiten, bevor sie einem Opfer die Halsschlagader durchbeißen. Aber auch das Staunen über einen Sonnenaufgang, der sich auf YouTube gefahrlos genießen lässt. Und die aus der »Twilight«-Serie übernommene Fehde mit den Werwölfen wird en passant zum Kommentar gegen den alltäglichen Rassismus, denn das Verspielte hat immer wieder auch politische Dimensionen. Den 379-jährigen Viago, der pedantisch auf der Einhaltung der WG-Hausordnung beharrt, spielt Waititi selbst, wie er überhaupt immer wieder ­kleinere und größere Rollen in seinen Filmen übernimmt. Die des Hallodri-Vaters, der in »Boy« überraschend wieder im Leben von zwei Maori-Jungs auftaucht und sie zu einem Reality Check zwingt. Oder die Cameorolle eines Pfarrers, der in »Wo die wilden Menschen jagen« in lilafarbenem Ornat und mit aufgebauschtem Haarschopf eine ziemlich irre Trauerfeier abhält.

»Wo die wilden Menschen jagen« (2016). © Sony Pictures

Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau hat der alte grantige Hector (Sam Neill) auf nichts weniger Lust, als sich ums gemeinsame Pflegekind, das ebenso stoische wie widerspenstige Pummelchen Ricky zu kümmern. Doch Ricky denkt gar nicht daran, sich kampflos von der Jugendbehörde einsammeln zu lassen, nachdem er gerade erst, wohl zum ersten Mal im Leben, vom süßen Duft des Familiengefühls gekostet hat. Wie die anderen eigenwilligen Waititi-Helden nimmt auch er sein Schicksal beherzt in die eigene Hand. Er inszeniert seinen eigenen Tod bei einem Scheunenbrand und zieht mit einem Rucksack voll Proviant und seinem Hund Tupac los. Und weil er als Stadtjunge keinerlei Wildniserfahrungen hat, bleibt dem alten Hector gar nichts anderes übrig als nachzuziehen. So beginnt eine wundersame Abenteuerreise, die zugleich buddy movie, Coming-of-Age-Geschichte und Éducation sentimentale ist. Auch in Waititis bislang geradlinigstem Film gehen die harsche Realität und das ­märchenhafte Abenteuer eine magische Liaison ein. Ricky-Darsteller Julian Dennison bringt genau die richtige Mischung aus stoischem Gleichmut, naiver Unschuld, zäher Widerstandsfähigkeit und komischer Frühreife mit, um dem harten Leben ein bisschen Spaß abzutrotzen. Ganz nebenbei eröffnet er dabei natürlich auch seinem gespielt abweisenden, in Wirklichkeit nur einsamen Onkel eine neue Lebensperspektive. Aus ­dieser besonderen Art, auf die absurdesten und peinlichsten, traurigsten und tragischsten Ereignisse völlig ungerührt und gleichmütig zu reagieren, entsteht der supertrockene Humor, der sich durch alle Filme von Taika Waititi zieht und seine Weltsicht definiert: Komik gibt es auch an den dunkelsten Orten, da braucht man sie ja am dringendsten. Julian Dennison hat inzwischen eine Rolle im nächsten »Deadpool«-Film ergattert, was auch ein Zeichen dafür ist, wie gut sich diese spezifisch neuseeländische Form der Originalität ins Marvel-Universum fügt.

»Thor: Tag der Entscheidung« (2017). © Walt Disney

Tatsächlich wurde auch »Thor: Tag der Entscheidung« (im Original etwas anspruchsvoller »Ragnarok«, nach der Sage vom Untergang der Götter in der nordischen Mythologie) schon nach der ersten Vorführung für die internationale Kritik als einer der komischsten Marvel-Filme gefeiert. Taika Waititi, der sich in jeder medialen Ausdrucksform zuhause fühlt und von der Internet-Community geliebt wird, hatte im Netz den Boden bereitet: mit massenhaften ironischen Tweets und Mockumentary-Teasern. Da verpflanzte er Thor in eine improvisierte Wohngemeinschaft mit einem Nerd, der die Props aus dem Thor-Alltag nicht als Mietzahlung akzeptieren will, auch wenn der versichert, sie seien in Asgard »gazillions« wert (YouTube-Video). Im Film ist Thors blonde Mähne gekappt, der Hammer zerbrochen, und die weiblichen Neuzugänge – Cate Blanchett als Hela, Tessa Thompson als Valkyrie – bereiten den Kerlen ernsthafte Imageprobleme. Die ewige Sehnsucht des Menschen nach Familie und Freundschaft ist auch hier verankert, in Thors Verhältnis zu seinem Bruders Loki und zu den Superhelden-Kumpels. Sicher, die Kostüme und die Ausstattung sind ein paar Millionen teurer als in den neuseeländischen Indie-Filmen, die Tricks nicht mehr handgemacht, sondern an hochgetunten Computern ausgetüftelt. Aber die kindliche Unschuld und die menschliche Wärme von Taika Waititis Blicks auf die Welt lässt er sich auch im Marvel-Universum nicht nehmen. Und danach will er ohnehin erst mal in die heimische Indie-Filmwelt zurückkehren, um einen Film aus der Perspektive von Michael Jacksons Schimpansen zu drehen.

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