Paul Dano: Loser de luxe

Ein Porträt des Schauspielers Paul Dano von Andreas Busche
»Love & Mercy« (2015)

»Love & Mercy« (2015)

In seinen Filmen wird er oft ausgegrenzt und erniedrigt. Oder er erniedrigt andere. Normal sind die Typen, die Paul Dano spielt, jedenfalls selten. Da ist der obsessive  Beach Boy Brian Wilson in »Love & Mercy« schon ein Lichtblick

Filmkritiker sind schnell dabei, Parallelen zwischen Schauspielerbiografien und ihren Rollen zu ziehen – besonders, wenn die Schauspieler zu den eher schweigsamen Vertretern ihrer Zunft gehören. Paul Dano ist einer von denen, die in der Öffentlichkeit nur wenig von sich preisgeben und damit leicht zu voreiligen Spekulationen verleiten. Seine höfliche Teilnahmslosigkeit hat schon manchen Gesprächspartner zum Verzweifeln gebracht, in Interviews gibt er sich meist einsilbig, und rote Teppiche meidet er aus Prinzip. Wenn Dano nach persönlichen Beweggründen für seine Rollenwahl gefragt wird, grübelt er über seinen inneren Antrieb, sich vor eine Kamera zu stellen, und die Sinnsuche bei der Vorbereitung auf eine neue Rolle. Von ihm stammen Sätze wie: »Es ist schwer über die Schauspielerei zu sprechen, weil die Arbeit weniger eindeutig ist, als viele Leute annehmen. Und das ist wahrscheinlich auch das Interessanteste an meinem Job.« Dass Journalisten ihn auf seine emotional labilen Figuren festzunageln versuchen, nervt ihn bisweilen, seinen Unmut über solche Fragen lächelt er aber freundlich weg.

Die besten Jahre werden durchlitten

Diesen Monat ist Paul Dano als Beach-Boys-Songwriter Brian Wilson in Bill Pohlads Biopic »Love & Mercy« zu sehen, und auch diese Rolle liefert wieder reichlich Anlass für Spekulationen, denn der kultisch verehrte Wilson ist gewissermaßen die Quintessenz von Danos besten Leinwandmomenten: verängstigt, introvertiert, obsessiv, nerdig, aber auf berührende Weise auch naiv. Eine verletzliche Seele in einem Körper, der sich nicht entscheiden kann, ob er noch Kind oder schon Mann sein will. Vor allem aber ist Brian Wilson die Rolle, die Dano endgültig zum Durchbruch verhelfen müsste und das Versprechen einlöst, das er vor acht Jahren mit seiner gefeierten Darstellung des fanatischen Predigers Eli Sunday in Paul Thomas Andersons Öl-Epos »There Will Be Blood« gab. Sein Brian Wilson gehört zu den darstellerischen Höhepunkten im Genre der Musikerbiografie, gleich neben Sissy Spaceks Loretta Lynn in »Nashville Lady«, Forest Whitakers Charlie Parker in »Bird« und Joaquin Phoenix' Johnny Cash in »Walk The Line«.

»Love and Mercy« (2014) © Studiocanal

Dass Dano Wilson so glaubhaft verkörpert, verrät letztlich natürlich weniger über seine eigene mentale Verfassung als vielmehr über sein Interesse an abgründigen, verletzlichen Charakteren, in denen sich oft Aggressionen anstauen. Das sind Figuren wie Eli Sunday, die bad boys im Jugenddrama »Weapons« (2007) oder der Coming-of-Age-Geschichte »The Ballad of Jack and Rose« (2005, erstmals an der Seite von Daniel Day-Lewis) und natürlich die Rolle, mit der er 2006 bekannt wurde: der ältere Bruder Dwayne in der Familienkomödie »Little Miss Sunshine«. Wohl nicht zufällig machte Dano mit einer Figur auf sich aufmerksam, die selbst kein großer Redner ist.

Dieser Dwayne entzieht sich seiner Familie durch demonstratives Schweigen. Er will einmal Pilot werden, und als er realisiert, dass sein Traum niemals in Erfüllung gehen wird – er ist farbenblind –, bricht nach über einer Stunde ein markerschütterndes »Fuck!« aus ihm heraus. In »Little Miss Sunshine« erteilt Steve Carell in der Rolle des Onkels, eines schwulen Literaturprofessors, Dwayne auch eine Lektion, die ebenso auf Danos Rollenmuster depravierter Antihelden zutreffen könnte. »Marcel Proust war ein totaler Loser. Hatte nie einen richtigen Job, unglückliche Liebesaffären, schwul, schrieb zwanzig Jahre an einem Buch, das niemand lesen wollte. Aber am Ende seines Lebens erkannte er, dass seine Leidenszeit die besten Jahre seines Lebens gewesen sind. Weil sie ihn geprägt haben. All die Jahre, in denen er glücklich war – reine Zeitverschwendung.«

»Little Miss Sunshine« (2006) © 20th Century Fox

Ein Blick auf Danos Karriere legt die Vermutung nahe, dass sich sein Faible für Verlierertypen und unsichere Außenseiter ebenfalls bezahlt gemacht hat. Dano hat dafür in seinen Filmen viel Prügel einstecken müssen. Als Schauspieler ist er an diesen Rollen gereift. Im Internet kursieren gleich mehrere Fanvideos mit Zusammenschnitten aus Filmen, in denen Dano nach allen Regeln der Kunst verdroschen, gequält und erniedrigt wird. Das beste von ihnen heißt sinnigerweise »Paul Dano's Greatest Hits« – seine größten Schläge.

Einige Kritiker vermuteten bereits eine masochistische Veranlagung, weil er in Denis Villeneuves »Prisoners« einen des mehrfachen Kindermordes verdächtigten, geistig behinderten Jungen spielt, der – an einen Heizkörper gekettet – von Hugh Jackman als verzweifeltem Familienvater zwei Stunden lang gefoltert wird. An sich eine undankbare Rolle, aber Dano hat Figuren wie Alex Jones in den vergangenen Jahren zu seiner Kernkompetenz gemacht. Er spielt den gequälten, wimmernden, schreienden Alex in einer nur schwer erträglichen Tour de Force. Diese irre Intensität gehört nebenbei auch zum eindrucksvollsten, was im jüngeren amerikanischen Kino an Gesellschaftskritik zu sehen war. Da kämpft ein verzweifeltes Häuflein Mensch, schutzlos seinem Widersacher ausgeliefert, ohne Hoffnung auf Empathie oder Solidarität, um seine blanke Existenz. Ein Opfer des Rechts des Stärkeren.

»Prisoners« (2013) © Tobis

Ein krasser Gegensatz dazu ist der sadistische Plantagenangestellte John Tibeats in »12 Years a Slave«: wieder keine Rolle mit hohem Identifikations-, dafür aber mit reichlich Frustpotenzial. Berühmt geworden ist die Szene, in der Dano eine Gruppe von Sklaven mit der rassistischen Abwandlung eines Sklavenliedes zur Feldarbeit antreibt. Sein »Run, Nigger, Run« beginnt als debiles Kinderlied und steigert sich langsam zu einem frenetischen Mantra, einem Hillbilly-A-cappella from hell, das Dano mit unangenehmer Inbrunst intoniert. Natürlich muss er auch in »12 Years a Slave« wieder Prügel einstecken: diesmal von Chiwetel Ejiofor, der Tibeats mit dessen eigener Peitsche traktiert, bis der wimmernd und heulend auf dem Boden kauert.

Die Figur Tibeats ist in gewisser Weise symptomatisch für Danos Rollenprofil. Dano verfügt über eine Physiognomie und Körpersprache, die ihn sowohl für die Rolle des Täters als auch des Opfers prädestinieren. Die flachen Wangenknochen verleihen seinen Gesichtszügen eine Weichheit, an denen sich kaum innere Regungen und Emotionen ablesen lassen. So sind seine labilen Charaktere immer auch unberechenbar: Ihre volatilen Temperamente können von einer Sekunde zur nächsten von Wut und Aggression in Weinerlichkeit – und umgekehrt – umschlagen. In dieser Hinsicht ist Brian Wilson vielleicht sein bisher ausgeglichenster Charakter. Wilsons kindlicher Naivität kommt die therapeutische Funktion zu, all die schlechten Einflüsse der Welt von ihm fernzuhalten.

Der Held eines Indie-Kinos im Abstieg

Danos unscharfe jugendliche Gesichtszüge sind die ideale Voraussetzung für seine Wandelbarkeit. Lässt er sich einen Bartflaum wachsen, fehlt nicht viel zum sexuell bedrohlichen juvenile delinquent, den er in »The Ballad of Jack and Rose« mit langen Haaren, bauchfreiem T-Shirt und Jeans gibt. Dann könnte man ihn fast für eine Wiederkehr des jungen Matt Dillon aus Jonathan Kaplans Teenager-Sozialdrama »Wut im Bauch« halten. Und mit etwas körperlicher Pflege und einer Nickelbrille taugt er sogar zum romantischen Helden wie in »Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin« von 2012, in dem er einen leicht sozialgeschädigten Romanautor spielt, der sich seine Traumfrau buchstäblich ins Leben schreibt. Dieses Jungenhafte, das seine Figuren (positiv, aber auch negativ gewendet) ausstrahlen, ist Danos wichtigstes Alleinstellungsmerkmal im gegenwärtigen US-Kino, das von seinem Nachwuchs eher Kantigkeit und Disziplin erwartet, wie es Jake Gyllenhaal und Joseph Gordon-Levitt, zwei andere Stars aus Danos Generation, vormachen. Dano hingegen hat sich seine Jugendlichkeit seit seinem Debüt in dem Jugenddrama »L.I.E. – Long Island Expressway« (2001) bewahrt. Damals spielte er im Alter von fünfzehn Jahren seine erste Hauptrolle. Die fragile Mischung aus Sensibilität und Härte von Howie Blitzer wurde später zu seinem Markenzeichen.

»Ruby Sparks« (2012) © 20th Century Fox

»L.I.E.« ging aus dem New Queer Cinema hervor, dem damals einzigen noch interessanten Zweig des US-amerikanischen Independentkinos, das mit dem Übergang in die 2000er-Jahre schlicht vergessen hatte, relevante Geschichten zu erzählen. (»Little Miss Sunshine« war einige Jahre später – trotz großartiger Besetzung – exemplarisch für diese Entwicklung.) Michael Cuestas Regiedebüt galt seinerzeit aber auch als Ausnahmeerscheinung im US-Kino, weil es das queere Lebensgefühl eines Gus Van Sant in eine prekäre Lebenswirklichkeit überführte. Entlang des titelgebenden Long Island Expressway driftet die Jugend in Hoffnungslosigkeit und Gewalt ab. Howie fühlt sich von seinem alleinerziehenden Vater unverstanden und findet in einem pädophilen Philanthropen eine Art Ersatzvaterfigur – eine seltsam vorurteilsfreie Freundschaft, wie sie im US-Independentkino für einen kurzen Zeitraum möglich war. »L.I.E.« spielt ohne sozialrealistische Manierismen Macht- und Begehrensstrukturen durch, aber es ist ausgerechnet Howie, der unbeschadet aus der problematischen Konstellation hervorgeht. Dano gewann im folgenden Jahr bei den Independent Spirit Awards zu Recht den Preis für das beste Schauspieldebüt.

Jetzt müsste er groß rauskommen

Dem unabhängigen Arthousekino steht er bis heute näher als dem kommerziellen Hollywoodkino. Der gebürtige New Yorker lebt weiterhin in Brooklyn, spielt nebenher in einer Rockband und ist regelmäßig im Coffeeshop an der Straßenecke anzutreffen (wo ihm Fans seit der legendären Milkshake-Szene mit Daniel Day-Lewis in »There Will Be Blood « manchmal noch eine Milch spendieren). Als ihn das DVD-Label Criterion kürzlich nach seinen zehn Lieblingsfilmen fragte, befanden sich auf seiner Liste Bressons »Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen«, »Early Summer« von Ozu und Dreyers Die Passion der »Jungfrau von Orleans« – Filmemacher, die Paul Schrader einst dem »transzendentalen Stil« zurechnete. Danos beste Rollen sind dagegen weniger transzendental als transgressiv. Der abgehalfterte Rockstar Joby in dem Familiendrama »For Ellen« ist letztlich das Zeugnis eines radikal gescheiterten Lebensentwurfs. Und auch in diesem Film hat Dano einen furchtlosen Auftritt, wenn er in einer Provinzkneipe zum Hardrockstück »Still of the Night« von Whitesnake minutenlang mit sich selbst tanzt.

»For Ellen« (2012) © Peripher

Das Mainstreamkino wusste dagegen mit Danos Starqualitäten bislang wenig anzufangen, seine erratische Präsenz wurde meist in undankbaren Nebenrollen verschwendet. Im Actionfilm »Knight and Day« war er der nerdige Sidekick von Tom Cruise, im Zeitreise-Thriller »Looper« hatte er einen – wenn auch denkwürdigen – Kurzauftritt als Auftragskiller, der den Zyklus der »Looper« durchbricht und dafür auf unschöne Weise mit seinem Leben bezahlt. Und in »Cowboys & Aliens« spielte er wieder eine typische Dano-Figur: den Sohn des lokalen Viehbarons, ein kleines Würstchen mit großer Klappe, das den Großangriff der fliegenden Untertassen hinter Gittern verfolgen muss. Dass die großen Studios ihn inzwischen auf dem Schirm haben, ist immerhin ein schöner Beleg dafür, welchen Eindruck Dano über die Jahre auch in kleinen Filmen und Nebenrollen gemacht hat. Sein nächster Film ist nach einer beeindruckenden Serie mit »Prisoners«, »12 Years a Slave« und »Love & Mercy« allerdings wieder eine Nummer kleiner: In Paolo Sorrentinos »Youth« spielt er an der Seite von Rachel Weisz, Michael Caine, Jane Fonda und Harvey Keitel einen Drehbuchautor mit Schreibblockade.

Die Rolle des Brian Wilson bedeutet einen sanften Bruch in der Figurentypologie des Schauspielers Paul Dano. Zwar ist auch Wilson eine gebrochene, verstörende Persönlichkeit, aber Dano spielt sie mit der irrlichternden Energie eines Wunderkindes, das aus dem Staunen über die Welt – beziehungsweise seine Wahrnehmung der Welt – nicht mehr herauskommt. Besonders im Kontrast zu dem im Film von John Cusack verkörperten älteren Brian Wilson legt Dano  hier einen ungebrochenen Optimismus an den Tag, den man so in seinen Figuren noch nicht erlebt hat. Es war ein langer, steiniger Weg, aber vielleicht wird Paul Dano dank Brian Wilson ja doch noch zu einem Schauspieler der Herzen.

... Zur Filmkritik »Love & Mercy«

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