Kritik zu 12 Years a Slave

© Tobis

Steve McQueen verfilmt eine wahre Geschichte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und widerlegt auf ebenso künstlerische wie deutliche Weise den Südstaatenmythos von der »nicht so schlimmen« Sklaverei
Bewertung: 5
Leserbewertung
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3.7 (Stimmen: 7)

Die zwölf Jahre – und der Film – sind fast vorbei, da gibt es diesen Moment, in dem die Erzählung sichtbar, spürbar und hörbar ausatmet. Eigentlich hört man den Atem von Solomon (Chiwetel Ejiofor), der in den Fel­dern der Plantage steht, auf der er seit Jahren sein Sklavendasein fristet. Gerade hat er zum ersten Mal nach langer, langer Zeit jemandem seine wahre Identität enthüllt und seine tragische Geschichte erzählt: dass er als freier schwarzer Mann im Staat New York geboren wurde und aufwuchs, dass er dort Frau und Kinder hat, dass er eines Tages gekidnappt und als Sklave nach Louisiana verkauft wurde. Der Mann (Brad Pitt), dem er dies alles erzählt hat, hat versprochen, ihm zu helfen und die entsprechenden Briefe zu schreiben. Nun bleibt Solomon nichts anderes, als abzuwarten. Deshalb steht er für einen Moment im Feld und atmet aus, voll Angst, dass aus dieser letzten Hoffnung nichts werden könnte.

Seine Gestalt füllt das Bild aus: Man sieht sowohl sein Gesicht und die Verzweiflung, die sich darin eingegraben hat, als auch seinen Körper, den die Sorge beschwert. Es ist ein Moment, den keine Filmmusik untermalt, nur ein leises Geräusch von Luft. In ihm ist nicht nur die Dramatik von Solomons Schicksal auf den Punkt gebracht, sondern auch das, was diesen Film des britischen Regisseurs Steve McQueen so besonders macht – der Blick auf seinen Helden. Mit der Kamera tritt auch der Zuschauer nahe an Solomon heran, aber er wird nie aus der Rolle des Betrachters entlassen. Wir sehen, was passiert, das Unrecht der Sklaverei, die Willkür der Gewalt, die Verzweiflung derer, die ihr Opfer werden, aber in seiner präzisen Regieführung macht Steve McQueen deutlich, dass all das eben nicht uns passiert, sondern jemand anderem. Und dass in dieser Aufspaltung der Kern dessen liegt, was Sklaverei möglich macht. Anders als ­Steven Spielbergs Filme zum Thema etwa erlöst »12 Years A Slave« den Zuschauer nicht dadurch, dass er sich einfach mit den »Richtigen« identifizieren und mitleiden darf. Das führt dazu, dass der Film sowohl »leichter« anzuschauen als auch schwerer zu ertragen ist. Er verweigert jede Sentimentalität und konfrontiert umso ungeschminkter mit der Brutalität der Verhältnisse.

Darin liegt auch einer der Gründe, weshalb »12 Years A Slave« in den USA so einschlug: Selten hat ein Film radikaler die Verlogenheit der immer noch virulenten Südstaatennostalgie entblößt. Deren Lieblingsmythos, dass »alles gar nicht so schlimm war«, dass doch viele Herren ihre Sklaven gut behandelt und viele Sklaven sich wohlgefühlt hätten in der Fürsorge ihrer Herren, wird schon in der Vorlage zu McQueens Film, den Originalmemoiren des Solomon Northup, gründlich widerlegt. McQueen lässt den Erzählbogen des Buchs vollkommen intakt: Er schildert in wenigen Szenen das Leben Northups als freier Mann um 1840 in Saratoga. Dann seine durch einen Trick bewerkstelligte Entführung, seine Überführung auf einem Sklavenschiff nach New Orleans, seinen Verkauf an einen zunächst »gutherzigen« Besitzer (Benedict Cumberbatch), seine Auseinandersetzung mit dessen sadistischem Aufseher (Paul Dano) und seinen Weiterverkauf an den Plantagenherren Epps (Michael Fassbender), unter dessen grausam-zwiespältigem Charakter er lange Jahre leiden wird.

Dazwischen gibt es noch so eine Szene, in der sich die Kunst dieses Films gleichsam verdichtet: Solomon hat es ein Mal gewagt, zurückzuschlagen. Nun soll er unverzüglich gehängt werden. Doch gerade, als die Männer ihn an einen Baum knüpfen, schreitet jemand ein. Weil erst die Besitzverhältnisse geklärt werden müssen, wird Solomon zunächst am Baum gelassen, den Kopf in der Schlinge, die Zehen gerade noch auf dem schlammigen, wegrutschenden Boden. Für Stunden tänzelt er so um sein Leben. Die Kamera entfernt sich unterdessen langsam von ihm und nimmt die Umgebung in den Blick. Im Zeitraffer sieht man, was um ihn herum geschieht. Zuerst die erschreckte Stille, dann huschen Frauen vorbei, irgendwann wird Wäsche aufgehängt, später spielen Kinder in der Nähe. Solomon hängt und tänzelt um sein Leben – und so stark ist die Gewalt der Strukturen, dass niemand es wagt einzugreifen. Unmenschlichkeit ist dort am schlimmsten, wo sie unsichtbar wird.

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