Kritik zu For Ellen

© Peripher Filmverleih

Vater für zwei Stunden: Paul Dano als Rockmusiker, der am Tag seiner Scheidung erstmals seine Tochter trifft

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Paul Dano ist seit seinem Durchbruch als bigotter Priester in There Will Be Blood zu einem der gefragtesten Akteure des ambitionierten Mainstreamkinos avanciert. Allein 2012 wirkte er unter anderem in Looper und Ruby Sparks mit. Spielte er in Letzterem einen selbstverliebten Schriftsteller, der sich in eine literarische Realität flüchtet, verkörpert Dano nun in For Ellen einen narzisstischen Rockmusiker, der seinen musikalischen Kosmos verlassen muss, um sich den bitteren Realitäten zu stellen. Pendelten seine bisherigen Charaktere, Außenseiter fast alle, zwischen unnachgiebiger Zielstrebigkeit und leicht linkischer Weltfremdheit, läuft das Leben von Joby Taylor gleich zu Beginn des Films im wahrsten Wortsinn heillos aus der Bahn: Unterwegs zum Scheidungstermin verliert er im tief verschneiten Hinterland von New York die Kontrolle über seinen Wagen und landet in einer Schneewehe; beim Aussteigen findet er in seinen Stadtschuhen kaum Halt auf dem eisigen Boden. Was eine aufdringliche Metapher sein könnte, wirkt hier dank der lakonischen Inszenierung sehr dezent, zumal man den Symbolgehalt der Szene erst rückblickend wirklich begreift.

Joby ist aus New York City angereist, um Papiere zu unterschreiben, die ihm nach der Scheidung die Hälfte des gemeinsamen Hauses zusichern. Im Gegenzug soll er jedoch das Sorgerecht für seine sechsjährige Tochter Ellen, die er nie gesehen hat, aufgeben. Und erst jetzt, als es schon zu spät ist, wird ihm klar, was er mit diesem Schritt aufgibt – For Ellen funktioniert nicht zuletzt als Charakterstudie eines Mannes, der sich als Musiker coolexistentialistisch gibt, angesichts ganz realer existenzieller Fragen jedoch furchtbar hilflos wirkt. Mit seinen Lederklamotten, dem gegelten Haar, den Tattoos und dem dünnhaarigen Kinnbart wirkt der Punkrocker Joby wie ein tragikomisches Alien in der winterlichen Provinz. Und je länger er über seine Situation nachdenkt, desto fremder scheint auch ihm selbst sein bisheriges Leben zu werden.

Gerade mal zwei Stunden mit seiner Tochter gewährt ihm seine Frau, danach wird er sie wohl nie wiedersehen. Die wenigen Szenen zwischen Joby und Ellen (herausragend: Shaylena Mandigo) bilden das emotionale Herzstück des Films: Die Unsicherheit der beiden und ihre ganz allmähliche Annäherung, ohne dass es zu einer echten Vertrautheit kommen kann, sind von einer seltenen Wahrhaftigkeit. Der Film gaukelt nicht vor, dass Joby je dem Bild eines guten Vaters entsprechen könnte; seine Versuche, im letzten Moment eine Bindung zu seiner Tochter aufzubauen, macht das nicht weniger berührend.

Überhaupt ist For Ellen, der dritte Film der Koreanerin So Yong Kim, von großer inszenatorischer Feinheit. Sie arbeitet mit langen, betont ruhigen Einstellungen, an der Oberfläche passiert nicht viel; dennoch wirkt das Geschehen durch die Intensität der schwelenden Gefühle kraftvoll und dynamisch. Es geht ihr auch nicht um Fragen nach Schuld und Verantwortung, jeder der Charaktere scheint gute Gründe für sein Handeln zu haben. Vielmehr zeigt sie, dass es nie zu spät ist, noch einmal einen Versuch zu starten. Auch wenn den Ausgang niemand kennt.

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