Okay, her mit den Daten!

Typen wie ­RoboCop und Sherlock Holmes könnten helfen, meint Jan Distelmeyer
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Alle werden abgehört, überwacht, beobachtet. Aber wohin mit den ganzen Informationen? Wie durch den Dschungel von Big Data steuern?

400 Monitore flackern blau im Dunkeln, eine gigantische Menge bewegter Bilder. Der alte Herr weiß sofort, was er da vor sich hat. »Sie haben mein Sonarkonzept auf jedes Telefon der Stadt übertragen! Wenn die halbe Stadt ihr Sonar füttert, sehen Sie letztendlich ganz Gotham!«, klagt Lucius Fox, der von Morgan Freeman gespielte Wunderentwickler, seinen Chef Bruce Wayne in The Dark Knight an.

Damals, vor sieben Jahren, hätte man sich unter einem Geheimdienstprogramm namens »Prism« alles und nichts vorstellen können, fehlten beim Wikipedia-Eintrag zur NSA die Passagen zur »Speicherung großer Teile der gesamten Internetkommunikation« und existierte das Schlagwort Big Data in der Wiki-Welt noch gar nicht. Beim Wiedersehen mit The Dark Knight aber wirkt die entsetzte Reaktion von Lucius Fox merkwürdig aktuell. »Unethisch« sei dieses Überwachungsdispositiv. Und: »Das Ausspionieren von 30 Millionen Menschen steht nicht in meinem Arbeitsvertrag.«

Entsprechend groß ist die Versuchung, in Christopher Nolans Batman-Film eine Vorahnung der Verhältnisse zu erkennen, die wir dank Edward Snowden seit dem Sommer 2013 mit »Prism«, NSA und Big Data verbinden. Tatsächlich macht aber der Rückblick nur klar, wie sehr sich das Verständnis von Überwachung verändert hat.

In The Dark Knight wurde digitale Überwachung noch ganz nach dem analogen TV-Modell gedacht und die Frage großzügig ignoriert, wie man denn um alles in der Welt diese Masse an Bildschirmen im Auge behalten und gleichzeitig erkennen sollte, was da live gerade wichtiger wäre als anderes. Aktuelle Fernsehserien wie Intelligence (CBS, 2014) und die dritte Staffel von Sherlock (BBC, 2014)  liefern dazu hochinteressante Gegenbilder. Sie verhandeln Überwachung, indem sie Wunschkonstellationen und Probleme von Big Data verarbeiten. Und dass dazu auch das populäre Kino etwas zu sagen hat, hat in diesem Frühjahr José Padilhas ­RoboCop bewiesen.

Big Data: »Ganz automatisch«
Die automatisierte Sammlung und Speicherung von immensen Massen jener personenbezogenen Auskünfte, die mit dem Begriff »Daten« immer schon auf ihre technische Prozessierbarkeit hin ausgerichtet werden, macht Arbeit. Dagegen ist die Observierung von 400 Livesendungen ein Witz. Alle, vor allem Geheimdienste und Unternehmen, wissen: Big Data ist auch ein Problem. Wie kann die digitalisierte »Datenflut«, die verhältnismäßig leicht zu Speicherzwecken einzuholen oder umzulenken ist, so ausgewertet werden, dass sie nützlich wird? Wie kann die Informationsmenge dazu führen, dass Konzerne ihre Kundenschar als Individuen ebenso erkennen, durchschauen und adressieren können wie Regierungen ihre Staatsangehörigen?

Einen bestimmten Menschen zum Kauf eines bestimmten Produkts zu bewegen, soll mit Big Data bekanntlich auf der gleichen Grundlage möglich sein wie die Hinderung dieses Menschen an einem terroristischen Akt. Nichts Geringeres ist das Ziel, als den umfassenden Überblick über größtmögliche Gruppen mit der präzisen Kenntnis des Einzelnen zu versöhnen. Eine Grippewelle soll ebenso vorhersehbar werden wie meine Kaufentscheidung oder meine Handlung/Haltung dem Staat gegenüber. Das Grundproblem dieser neuen Form der Kontrollgesellschaft besteht also in der Frage, wie aus der Masse der Weg zum Individuum führt, das es zu lenken gilt. Die Antwort, die derzeit TV- und Kino-Erzählungen bieten, lautet: Das schaffen ganz bestimmte Individuen.

Zu diesem Zwecke steht in José Padilhas RoboCop-Remake ziemlich genau in der Mitte des Films – an seinem gedanklichen Mittel- und dramaturgischen Wendepunkt – der ehedem halbtote Polizist Alex Murphy (Joel Kinnaman) in seiner neuen RoboCop-Vollpanzerung im Labor des Erfinders Dr. Norton (Gary Oldman). Ursprünglich war von Alex nach einem Bombenanschlag kaum mehr als Herz, Lunge und Kopf übriggeblieben, nun ist er von einer funktionstüchtigen »kybernetischen Prothese« umgeben. Doch diese beeindruckende Hardware-Ummantelung ist nur der erste Schritt. Was nun kommt, wird der Actionhülle die Seele geben: Software.

»Alex, wir transferieren jetzt den gesamten Datenbestand des Detroit Police Department in Ihre Datenbank«, erklärt Dr. Norton. Damit hätte Alex dann Zugriff auf alle Strafregister sowie zusätzlich auf »ein Archiv aller Überwachungskamera-Aufnahmen« der letzten 17 Jahre. »Okay. Her damit!«, meint Alex. Der Upload startet, und wir sehen zum ersten Mal aus seiner Perspektive das künftige RoboCop-Interface: Über, unter und neben Alex’ Blick auf die Welt legen sich hier Bilder und Zeichen, Informationen aller Art, um fortan jeden Ort und jeden Menschen mit den Daten ungelöster Verbrechen und gesuchter Täter abzugleichen. »Ihr System zieht die Verbindungen ganz automatisch«, sagt Norton, »es verknüpft die Täter mit ihren Verbrechen und wird nach Möglichkeit ihren aktuellen Standort bekanntgeben.«

Das wird Alex nicht lange aushalten. Der Kampf um den freien Willen beginnt, der hier das romantische Ringen zwischen computerbasierter Entscheidungslogik und emotionaler Willenskraft ist. Es geht recht eindeutig aus. Die Macht der Maschinen ist das Problem des Menschen. Wenn Alex als Hybrid am Ende fortbesteht, dann nur als Ausnahme, weil die Technologie eben doch auch für einiges gut ist. I fought the law, and the law won!

Das ganze Bild – 24/7
Solche Grundsatzprobleme, die auf höchst plakative Weise – eben in der Form des Action-Blockbusters – auf zentrale Fragen dessen zielen, was Verkäufer »die digitale Ära« genannt haben, sind der CBS-Serie Intelligence völlig fremd. Während RoboCop Unsicherheit darüber verbreitet, ob User der Computertechnologie eigentlich selbst Entscheidungen treffen oder bloß als Passagiere einer alles kontrollierenden Software irgendwie mitfahren, genießt Intelligence ausgiebig den Segen von Big Data. Hier ist ein anderer Deformierter, ein Kriegsheld mit dem sprechenden Namen Gabriel und einer »extrem seltenen genetischen Mutation«, der Auserwählte. Dem Skript hat es in seiner großen Gnade gefallen, Gabriel dank eines implantierten Mikrochips nunmehr »direkt«, also mit seinem Hirn, auf alle digitalen Daten aller Datenbanken zugreifen zu lassen. In der Serie heißt das »the information grid«.

Damit leistet Gabriel, der Erzengel, der göttliche Gesandte, für die Welt und die real existierende Militärbehörde U.S. Cyber Command, was Robocop für Detroit und seine Polizei tut: Gesichter in Sekundenbruchteilen scannen und entsprechend verifizierte Schurken im nächsten Augenblick unschädlich machen. Gabriels Analyseblick, das Gabriel-Interface, wird ein klein wenig anders dargestellt als das RoboCop-Interface, aber auch hier wird die Ansicht der Welt von Zeichen, Schrift und Datenbildern überlagert. Das hilft enorm und ist für Gabriel auch nur dann ein Problem, wenn er seine flüchtige Ehefrau trifft. Während der Robocop selbst die Ausnahme einer unguten Regel ist, macht Gabriel in der traumhaften Regelmäßigkeit der neuen Big-Data-Exekutive für einen bestimmten Menschen mal eine Ausnahme.

Doch dieser Gabriel kann noch mehr: Er stellt »virtuelle Schnappschüsse« einer beliebigen Situation her, die sein Weltwissen gespeichert hat. Darin, in diesen Raumbildern, kann er auf der Suche nach Beweisen umherwandern. Er nennt das »Cyber-Rendering«. Auf diesem Gipfel des Kontrollphantasmas begegnen sich die Ermächtigungsversprechen der sogenannten digitalen Revolution und ihre Vorliebe für räumlich geordnete Informationen, die auch im anhaltenden 3D-Hype ihren Ausdruck finden. Wir sind es gewohnt, dass Computer-Interfaces uns flache Navigationsräume in Gestalt von Schreibtischoberflächen oder Kachelanordnungen zur freien Verfügung präsentieren. Für Gabriel werden nun die Daten der Welt zu 3D-Räumen, die er im wahrsten Sinne »durchgehen« kann. Dort gibt es dann natürlich noch mehr Details zu entdecken.

Intelligence spielt durch, was Big Data verspricht, und ist auf eine futuristische und atemberaubend affirmative Weise dem nah, was derzeit diskutiert wird. Wer diese Serie und ihr Lob der Effizienz von Datenvermittlung und -verarbeitung gesehen hat, liest die Werbeankündigungen für holographische Big-Data-Analysen anders. Der aktuelle Slogan einer Firma für Datenvisualisierung, die ganz auf 3D-Animationen setzt, lautet: »­Make sure you have the full picture – all day and everyday.« Damit könnte auch das offizielle Motto der NSA benannt sein.

»Zu viele! Zu viele!! Zu viele!!!«
Aus diesem Szenario resultieren freilich nicht nur Machtfantasien, sondern auch Ängste. Die dürften etwa bei der Verzögerung der weltweiten Markteinführung von ­Google Glass im Spiel gewesen sein. »Wenn wir in ein paar Jahren einem Gesprächspartner gegenübersitzen«, erklärte der Mathematiker
und Informatiker Johannes Buchmann in einem Interview vom Sommer 2013, »und er hat eine Brille mit dickem Rahmen auf, könnten wir uns unter Umständen fragen: Ist das eine Datenbrille, die meinem Gesprächspartner gerade Informationen über mich zuspielt?« In den Sci-Fi-Welten von RoboCop und Intelligence braucht es dazu keine Datenbrille mehr. Die dritte Staffel der hoch gelobten Fernsehserie Sherlock jedoch endet mit genau dieser Verunsicherung.

Benedict Cumberbatchs Sherlock ­Holmes, den die Autoren Steven Moffat und Mark Gatiss (der hier zudem Sherlocks Bruder Mycroft spielt) für die BBC von der vorletzten Jahrhundertwende in die Jetztzeit versetzt haben, ist nicht nur äußerlich in der Gegenwart angekommen. Seine Deduktionen sind weiter denn je von Hexenwerk entfernt. Stattdessen sind sie, das wird in Staffel drei unübersehbar, die geniale Verbindung von gedankenblitzschneller Informationssammlung und Schlussfolgerungen.

In der Episode Im Zeichen der Drei scannt Sherlock während seiner Trauzeugenansprache alle Hochzeitsgäste, um ein bevorstehendes Verbrechen zu verhindern. Zu den Menschen gesellen sich in seinem Blick – dem Sherlock-Interface – Linien und Worte, die seine Beobachtungen und Schlüsse festhalten. Sein entnervter Aufschrei »Zu viele! Zu viele!! Zu viele!!!« ist beinahe die Kapitulation vor seiner Big-Data-Wahrnehmung, dann aber kann er die Masse eingrenzen durch seinen speziellen Trick. Sherlock zieht sich, während er physisch präsent bleibt, gedanklich in seinen Gedächtnispalast zurück. Dort geht er alle wichtigen Informationen in Windeseile so durch, dass er zielsicher bei Opfer und Täter landet. Wir sehen diese Arbeit im Gedächtnispalast. Sie ist Teil einer Erzählung, die das Innenleben in die Fläche und also in den filmbaren Raum verlegt.

Damit führt uns Sherlock ganz nebenbei vor Augen, wo wir eine Wurzel der gegenwärtigen Raummetaphern und -inszenierungen unserer digitalen Medien finden können. Der Cyberspace, der virtuelle »Steuerungsraum«, führt auch zu den Gedächtnispalästen der Mnemotechnik – jener Erinnerungskunst, die bis zur Rhetorik der alten Griechen zurückreicht. Auch hier wurden Informationen räumlich organisiert und gleichsam Datenvisualisierungen vor dem geistigen Auge betrieben.

Indem Sherlock diese Gedächtnispaläste mit den Ergebnissen des Sherlock-Interface montiert, verbindet die Serie unsere Mediengegenwart mit einer Kulturgeschichte, die gleichzeitig den Büchern Arthur Conan Doyles treu bleibt. Schon dort war der Detektiv in seinen Gedächtnispalast abgetaucht. So wenig Sherlock also eine Datenbrille braucht, so sicher glaubt er in der Schlussepisode der dritten Staffel, Sein letzter Schwur, es mit einer solchen zu tun zu bekommen.

Auserwählte regeln die Welt
Hier begegnen wir einer weiteren Variante des RoboCop- und Gabriel-Interface. Der schwerreiche Oberschurke Charles Augustus Magnussen, natürlich ein Medienmogul, blickt durch seine De­signerbrille auf Menschen, über die sich dann sogleich in weißer und roter Schrift personenbezogene Informationen legen, von denen die Kategorie »Druckpunkt« für den Erpresser Magnussen am interessantesten ist. Das typische elektronische Flirrgeräusch digitaler Texteinblendungen, das wir nur aus Filmen kennen, ergänzt den visuellen Eindruck.

Niemand weiß von dieser Datenbrille; erst Sherlock wird Magnussen überführen – und dabei so irren wie wir selbst. Tatsächlich ist Charles Augustus Magnussen wie Sherlock ein machtvoller ­Alleinherrscher seines eigenen Gedächtnispalasts. Das Magnussen-Interface, das uns als Fernsehpublikum in die Irre geführt hat, ist nur die Visualisierung (und Vertonung) seines geistigen Auges, das für uns die Gestalt jener Interfaces angenommen hat, die wir seit Jahrzehnten mit der Computertechnologie assoziieren. Sherlock erklärt uns Magnussen als Computer.

Beide, Sherlock und Magnussen, haben ihren Vorsprung und ihre Stellung in der Gesellschaft durch die Sammlung und Bewältigung von Big Data erworben. Wesentlich mächtiger und gefährlicher aber als Sherlock wird Magnussen dadurch, dass er sich durch seine Medien verbreiten kann. Wenn also auch Sherlock Züge eines Computers hat, ist Magnussen noch mehr als das: Er ist ein vernetzter Computer, Symbol und realer Teil des Internets.

Robocop, Gabriel und Magnussen setzen damit gewissermaßen dem berühmten »Internet der Dinge« das »Internet der Individuen« entgegen, die als Maschinenmenschen jene Probleme lösen, die Big Data für Unternehmen und Regierungen bedeutet. Es ist fast rührend, wie hier angesichts der hochtechnisierten Problemlage das alte romantische Subjekt als merkwürdig gekreuztes Genie wiederkehrt. Dass diese Hoffnung auf Ausnahmemenschen auch jenseits von Fernseh- und Filmfantasien real ist, beweist etwa das Team hochbegabter Gesichtserkenner, der »Super Recognisers«, die derzeit für Scotland Yard Überwachungsbilder analysieren.

Direkter als diese unbekannte Elite regeln die Auserwählten von RoboCop,  Intelligence und Sherlock die Welt, indem sie auf Daten zugreifen und daraus Handlungen ableiten, die sich wieder an Individuen richten. Menschen zu verhaften oder zu erpressen, ist da nur ein marginaler Unterschied. Bis jemand mit einem Gewissen kommt wie Alex oder mit einer Kombinationsgabe wie Sherlock, der sich schließlich an zwei Fingern ausrechnet, wie man Magnussen vom Netz nehmen kann. Digitale Logik, an oder aus. Das ist unumgänglich, denn Magnussen ist dem Detektiv zu ähnlich – ein »hochfunktioneller Soziopath«, wie Sherlock sich selbst treffend beschrieben hat. Und von solchen Leuten sollte sich eine Gesellschaft lieber nicht regulieren lassen.

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