Kritik zu Anemone
Für das Regiedebüt von Ronan Day-Lewis ist sein Vater Daniel wieder vor die Kamera zurückgekehrt und spielt einen abgeschieden lebenden Veteranen, der nach Jahren von seinem Bruder aufgesucht wird
Acht Jahre ist es her, dass Daniel Day-Lewis zuletzt in einem Film zu sehen war. Doch ganz gleich, ob man nun Paul Thomas Andersons »Der seidene Faden« als seine Abschiedsvorstellung und die Pause des doppelten Oscargewinners als echten Ruhestand verstehen wollte (ein Missverständnis, betonte er selbst kürzlich in einem Interview), dass es eines besonderen Projekts bedürfen würde, um ihn wieder vor die Kamera zu locken, war immer klar. Und was könnte es Spezielleres geben, als wenn der eigene Sohn sein Regiedebüt gibt.
Als Veteran und Einsiedler steht Day-Lewis senior im Zentrum dieses Films, zu dem er gemeinsam mit Sohnemann Ronan Day-Lewis das Drehbuch schrieb. Zwei Jahrzehnte ist es her, dass Ray Stoker seine schwangere Lebensgefährtin Nessa (Samantha Morton) verlassen und sich aus der Gesellschaft zurückgezogen hat. Seither lebt er versteckt und bescheiden in einer von Anemonen umwachsenen Hütte in den nordenglischen Wäldern. Doch eines Tages macht sich sein Bruder Jem (Sean Bean) auf, ihn zu suchen.
Seit vielen Jahren ist nun Jem mit Nessa liiert, deren Briefe an ihren verschwundenen Ex immer unbeantwortet blieben. Gemeinsam haben sie Brian (Samuel Bottomley) aufgezogen, doch als an dem jungen Mann immer deutlicher gewalttätige Züge und Wutausbrüche sichtbar werden, ist die Hoffnung, dass eine Konfrontation mit seinem leiblichen Vater, um dessen Ausscheiden aus der Armee stets schlimme Gerüchte im Raum standen, eine letzte Chance sein könnte.
Von den Erfahrungen als Soldaten im Nordirlandkonflikt über das Verhältnis zum Glauben bis hin zur Beziehung zu ihrem inzwischen verstorbenen Vater – diese beiden Brüder könnten, so zeigt ihr spätes Wiedersehen, kaum unterschiedlicher sein. Doch es ist Ray, auf den »Anemone« den Fokus richtet, ist er doch derjenige, der auf all diesen Ebenen schwere Verletzungen davongetragen hat: durch eine folgenschwere Begegnung mit der IRA genauso wie durch den Missbrauch eines Priesters oder die Schläge seines Erzeugers. Und Traumata, nicht zuletzt die vererbten, sind das eigentliche Thema dieses Films.
Mit seinem Kameramann Ben Fordesman findet der jüngere, bislang vor allem als Maler tätige Day-Lewis starke Bilder, sowohl in den Landschaftsaufnahmen als auch der Komposition der Innenszenen. Doch auf Skript-Ebene weist »Anemone« trotz des dankenswerten Verzichts auf Rückblenden Schwächen auf. Zwischen einigen bedeutungsschweren Monologen bleibt vieles – nicht nur durch Schweigen – ungehört. Das wäre stimmiger, würde der junge Regisseur die Stille auch wirklich aushalten, statt immer wieder den Score von Bobby Krlic zu bemühen.
Dass außer Ray die übrigen Figuren ungeachtet starker Szenen nie genug Konturen gewinnen, ist ebenfalls bedauerlich. Ray allerdings ist für Daniel Day-Lewis in all seinem Schmerz eine echte Paraderolle – und nicht zuletzt die Rückkehr dieses Ausnahmeschauspielers macht den Film dann doch zum Ereignis.




Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns