ZDF-Mediathek: »Toxic Tom«
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Tom Hallsténsen korrespondiert elektronisch mit seiner litauischen Internetbekanntschaft Maria. Maria plant den Umzug nach Norwegen, wo sie sich nach einer Stellung umsehen möchte. Norwegen, schreibt sie, scheint das tollste Land der Welt zu sein. Tom aber warnt: Norwegen werde beherrscht von einem radikalen, von Prestigedenken gespeisten Feminismus. Toxische Weiblichkeit habe den skandinavischen Mann ruiniert. Die Folgen: Depression, überfüllte Gefängnisse, eine hohe Selbstmordrate. »Norwegen liebt Schwäche und hasst echte Männer.« Auch seinen Nachbarn Audun zählt Tom zu den Schwächlingen, denn der hat Elternschaftsurlaub genommen und versorgt das Neugeborene, während die Mutter arbeiten geht. Ein Unding in Toms Weltbild.
Kaum auszudenken, doch sein notorischer Frauenhass steigert sich noch, als er erkennt, dass Maria, für die er in Erwartung ihrer Ankunft sogar seine Wohnung aufgeräumt hatte, ihn in die Irre führte, um ihm Geld abzuknöpfen. In der Komikerin Live Stensvaag findet Tom ein Ziel für seine Wut. Live spricht im Fernsehen von einer Beinahe-Vergewaltigung. Tom kommentiert online: »Ich tue dem Land einen Gefallen und bringe deine Beinahe-Vergewaltigung zu einem Ende.« Live zeigt die Nachricht in ihrer Sendung. Die Öffentlichkeit ist empört. Hacker enthüllen Toms Identität und machen eine Fülle persönlicher, delikater Daten publik.
Tom wird beschimpft, von Journalisten belagert, bedroht, und die Polizei hätte ihn gern gesprochen. Er führt vorübergehend den Perückenladen seiner bettlägerigen Mutter und versteckt sich dort, keine Lösung von Dauer. Die rettende Idee: Er legt Frauenkleider an und setzt eine Langhaarperücke auf. Als Frau mit Namen Berit sucht er Zuflucht in einer Unterkunft für Wohnungslose. Abends treibt er durch die Kneipen, findet Anschluss bei einer Gruppe vorurteilsloser Außenseiter. Einmal lädt einer der Kumpels »Berit« zu sich nach Hause ein. Beide sind betrunken, der Gastgeber versucht eine Vergewaltigung. Tom kann den Angreifer abwehren, ergreift die Flucht, taumelt über die nächtlichen Straßen. Zwei Mitarbeiterinnen einer Anlaufstelle für Opfer sexueller Gewalt werden auf ihn beziehungsweise sie aufmerksam und leisten Hilfe. Tom gewahrt Frauen, die Ähnliches durchgemacht haben, nimmt Anteil, spendet Trost. Die Leiterinnen der Hilfsorganisation sind beeindruckt von »Berits« Zartheit und Einfühlungsvermögen. »Berit« wird ehrenamtliche Mitarbeiterin der Beratungsstelle.
So weit ein Teil der Handlung des Vierteilers »Toxic Tom«, englisch »A Better Man« betitelt, eine Geschichte mit dem Charakter eines überdeutlichen Lehrstücks. Der Saulus muss durchs Fegefeuer, wird zum Paulus, die Komikerin Live andererseits sorgt sich um den Web-Rüpel, der Ziel einer Hetzjagd wurde und verschwand. Sie macht sich Vorwürfe, sucht das Gespräch. Der Autor Thomas Torjussen wirbt auch um Nachsicht für die Betrügerin Maria. Sie betreibt die Bauernfängerei aus Not, aber voller Skrupel. Es ist den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern NRK und ZDF anzurechnen, dass sie ein derart kurantes, beunruhigendes Thema in einem Fiction-Format aufgreifen. Doch kann der Versuch nicht als gelungen angesehen werden. Thomas Torjussen muss zu oft und über jedes glaubwürdige Maß hinaus den Zufall strapazieren, um die Handlung in die gewünschten Bahnen zu lenken. Er provoziert gar Zweifel an der angestrebten Aussage. Nachdem Tom nicht mehr von der Polizei gesucht wird, kehrt er in seine Wohnung zurück, legt die Frauenkleider ab und verfällt alsbald wieder in alte Gewohnheiten. Also war die so breit als positives Beispiel ausgemalte Phase des Mitgefühls und das Abstreifen männlichen Dominanzdenkens nur eine Scharade?
Vereinzelt unterlaufen dem Autor Geschmacklosigkeiten, so wenn Tom einen Suizidversuch unternimmt und die Schlinge an einem Rohr befestigt, das prompt nachgibt, woraufhin Fäkalien auf Tom herabstürzen – eine sehr verzichtbare bildliche Umsetzung des »Shitstorms«, der über Tom hereinbricht.
OV-Trailer



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