Filmgeschichte: Richard Burton
Richard Burton in »Blick zurück im Zorn« (1959)
Richard Burton würde am 10. November 100. Geburtstag feiern. Ein enorm kluger, gnadenlos unverblümter Kopf. Und mit einer Stimme zum Niederknien. Gerhard Midding gratuliert
Welcher Film ist der beste Einstieg ins Werk?
Als lebenshungriger Jazzmusiker in dem Kitchen-Sink-Drama »Blick zurück im Zorn« (1959) offenbart er, wie viel Scham, Verzweiflung und Verwundbarkeit in der Raserei stecken können. Hier entdeckt man einen Darsteller, der den Preis kennt, den die eigene Grausamkeit fordert. Um das Phänomen Taylor–Burton zu ergründen, empfehle ich die Zimmerschlachten in »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« (1966).
Was macht ihn so besonders?
Burton besaß eine der schönsten Stimmen schlechthin – sie ist von warmer Klarheit, kann aber auch rau und schneidend sein – und war zugleich einer der großen Sprachkünstler der Kinogeschichte. Er erweckte Bühnendialoge von John Osborne, Tennessee Williams, Edward Albee, Peter Shaffer u. a. zu filmischem Leben. Selbst seitenlange Monologe ließ er vibrieren, man höre sich nur die unschicklichen Brandreden in »Die Nacht des Leguan« (1964) an. Sogar den blödsinnigen Funkspruch »Broadsword calling Danny Boy« aus »Agenten sterben einsam« (1968) veredelte Burton melodiös.
Was machte er anders als die anderen?
Er brachte das Dionysische ins britische und dann ins Hollywoodkino. Kein Wunder, auch im Leben war Burton ja ein sturmerprobter Hedonist. Übrigens glaubte er, dass sein Beruf unmännlich sei, aber strafte sich selbst ständig Lüge. Und die Verführung ist der Grundimpuls seines Werks. Die Geschlechterbilder seiner Filme veralten zwar heillos, sein Sex-Appeal jedoch ist brandaktuell.
Was halten alle für sein Meisterwerk?
Ein sicherer Kandidat wäre die Rolle des Alec Leamas in »Der Spion, der aus der Kälte kam« (1965). Dessen Ausgebranntsein besitzt einen doppelten Boden, dient als Köder und ist doch abgrundtief echt. Hier spürt man sein einzigartiges Talent, einer Weltanschauung in seinen Figuren Ausdruck zu verleihen: die eines Zynikers mit Resthoffnung, der verzweifelt die Unschuld sucht und beschützen will. Mir liegt der Film besonders am Herzen, denn er enthält auch meine Lieblingsszene. Claire Bloom fragt ihn, an was er glaubt, worauf er erwidert: »I believe the No. 11 bus will get me to Hammersmith, I do not believe it will be driven by Father Christmas.« Linie 11 fährt übrigens immer noch die gleiche Strecke.
Wann griff er daneben?
Immerzu. Um seinen spektakulären Lebensstil zu finanzieren (man denke nur an all die Juwelen, die er Liz Taylor schenkte), nahm er lauter Angebote einzig der Gagen wegen an. Allein für seinen Part in dem Kommandounternehmen »Agenten sterben einsam« (1968) soll er acht Millionen Pfund eingestrichen haben. Na, in Uniform sah er aber stets schneidig aus.
Welcher Film traf den Zeitgeist besonders?
In »Der Schrecken der Medusa« (1978) spielte er einen Schriftsteller, der über kinetische Kräfte verfügt und so die Grundfesten des britischen Empire erschüttert. Die Schlusspointe mit dem maroden Kernkraftwerk sitzt. Nachgerade eine Bilanz: Burtons Figuren tragen schwer am Verhängnis der Welt.
Auf DVD (Icon Film) ist das in diesem Jahr erschienene Biopic »Mr. Burton« erhältlich, das erzählt, wie der Schauspieler in Wales aufwuchs und schließlich seine »Bestimmung« fand.




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