Kritik zu After the Hunt
In seinem vielschichtigen Drama um einen Missbrauchsvorwurf und Machtspiele an einer amerikanischen Elite-Universität verweigert Luca Guadagnino einfache Antworten
Zur Weltpremiere beim Filmfestival in Venedig wurde »After the Hunt« kontrovers diskutiert. Macht Luca Guadagninos Film, wie Journalisten kritisierten, Errungenschaften von Feminismus und MeToo zunichte? »Der Film soll zu schwierigen Diskussionen anregen«, verteidigte Hauptdarstellerin Julia Roberts das vielschichtige Drama, das vorweg zu eindimensional als MeToo-Film vermarktet wurde. Dem Populismus dieser Tage antwortet Guadagnino mit Komplexität.
Roberts spielt Alma Olsson, eine Philosophieprofessorin, die es in dem männerdominierten Metier weit gebracht hat. Alma lehrt in Yale und lädt gerne zu intellektuell-stimulierenden, alkoholreichen Partys ein. Ins Wanken gerät ihr privilegiertes Dasein, als ihre Star-Studentin Maggie, gespielt von The Bear-Star Ayo Edebiri, nach einer von Almas Soireen schwere Vorwürfe erhebt: Hat sich Hank (Andrew Garfield), Almas Professorenkollege und guter Freund, sexuell an Maggie vergangen?
Das ist der gewaltige Elefant in dem fein zusammengesetzten Glashaus, in dem Guadagnino sein auf dem Papier arg konstruiert klingendes, auf der Leinwand unglaublich glaubhaftes Personal aufeinanderprallen lässt. Der italienische Regisseur spielt dabei mit verschiedenen Tonalitäten, lässt »After the Hunt« wie einen älteren Woody-Allen-Film beginnen und sich zu einem so dialogintensiven wie formbewussten Thriller mit Hitchcock-Vibes hochschaukeln, in dessen Zentrum sich, wie schon in seinem Tennis-Beziehungshamsterrad »Challengers – Rivalen«, ein Personendreieck reibt.
Einige Kritiker nahmen Anstoß daran, dass der Film keine eindeutigen Antworten liefert und (selbst-)bewusst die Ambivalenzen des MeToo-Falls aufzeigt. Es ist kompliziert, alle Figuren haben hier Gründe und Eigeninteressen: Alma möchte nicht von ihrem Thron gestoßen werden, vor allem nicht ihre Entfristung an der Eliteuni gefährden und reagiert gegenüber Maggies Vorwürfen alles andere als souverän – die gerne männlich konnotierte Machtposition ist der Professorin, die »Buddenbrooks« im Original liest und die Theorien Hannah Arendts oder Michel Foucaults herunterbetet, mehr als bewusst. Maggie wiederum ist eine queere Schwarze Frau, die auf Alma steht und deren reiches Elternhaus der Uni zugutekommt. Hat sie, wie der alle Schuld von sich weisende Hank meint, Teile ihrer Dissertation plagiiert? Letzterer wickelt Alma, mit der ihn mehr als »nur« Freundschaft zu verbinden scheint, um den Finger, er ist in einem Moment glaubwürdig und verspielt im nächsten wieder alles durch handgreifliche Ausraster.
Auch in »After the Hunt« kreist Guadagnino um sein Überthema: das Begehren. Keiner erzählt davon so facettenreich in so unterschiedlichen, oft mäandernden Filmen. In »Call Me by Your Name« war es der Crush eines Jungen auf einen älteren Familienfreund, in »Challengers« der sexuelle Wettbewerb zweier Tennisspieler um ihre Angebetete und zuletzt in »Queer« die schwule verschwitzte Lust auf einen jüngeren Ex-Soldaten und die Sucht nach Drogen.
»After the Hunt« erzählt nach einem Drehbuch von Nora Garrett zwar nicht so physisch, aber deshalb nicht weniger intensiv vom Begehren nach Macht, nach (gleichgeschlechtlicher) Liebe, nach Anerkennung und (intellektuellem) Status. Der Thriller mäandert konzentriert, unterläuft Erwartungen und rückt die Ereignisse und Protagonisten immer wieder in ein anderes Licht.
Getragen von einer dichten Inszenierung, dem mal harmonischen, mal dissonanten Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross und dem gut aufgelegten Ensemble – herrlich auch: Michael Stuhlbarg als Roberts' liebender und stichelnder Psychologenehemann – stellt sich Guadagnino filmisch gegen den populistischen Hang zur Vereinfachung. Er wertet nicht und provoziert zu Diskussionen. Trotz einer etwas unnötigen Coda ist »After the Hunt« so eindringlich wie das durch Mark und Bein gehende Uhrticken zu Filmbeginn und gegen Ende.
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