Kritik zu Viet und Nam
Der vietnamesische Regisseur Minh Quy Truong zeigt mit hypnotischen Bildern und melancholischer Stimmung die Zerrissenheit seines Landes und erzählt von einer queeren Liebe unter schweren Lebensumständen
Unter Tage, im dunklen Nichts der Schwarzkohlmine: Da sitzen zwei junge Männer, ihre dreckig verschwitzten Gesichter sind kaum von der Umgebung zu unterscheiden. Die Arbeiter warten auf die nächste Fuhre, unterhalten sich über einen Traum und streicheln einander sanft übers Gesicht; eine intime Geste der Zuneigung im Schutz der Finsternis. Ein Glockensignal reißt sie aus der Stille. Sie setzen sich ihre Helme auf, Kumpel ziehen an ihnen vorbei. Kurz darauf ist in der Ferne eine Explosion zu hören.
An der Oberfläche treten die Konturen langsam zutage: Es ist das Jahr 2001 in einem nordvietnamesischen Dorf, und Viet (Dâo Duy Báo Dinh) und Nam (Pham Thanh Hái) sind auch privat ein Paar. Wegen der wirtschaftlichen Misere im Land sieht sich Nam gezwungen, die Heimat zu verlassen und damit auch seinen Partner. Noch lebt er mit seiner Mutter Hoa (Thi Nga Nguyen) in einer kargen Hütte, in die nur unwesentlich mehr Licht fällt als in die Bergbaumine. Das Fenster zur Welt ist ein Fernseher, auf dem gerade Namen von Soldaten eingeblendet werden, die in den 1970er Jahren im Krieg vermutlich gefallen sind und von ihren Angehörigen noch immer gesucht werden. So auch Nams Vater, der für den Vietcong kämpfte und an der Front verschollen ging. Die Mutter träumt regelmäßig von ihm. Zusammen mit einem Veteranen, der Nams Vater kannte, begeben sich alle gen Süden, auf der Suche nach der letzten Ruhestätte des Toten.
Die Geister der Vergangenheit sind allgegenwärtig, die Gegenwart ist fragil und die Zukunft ungewiss in dieser Geschichte um individuelle und kollektive Traumata, deren Protagonisten mit ihren Namen etwas überdeutlich für die zwei Hälften ihres zerrissenen Landes stehen. Die beiden Männer können sich nur heimlich lieben, der Untergrund wird ihnen zum sicheren Ort sexueller Freiheit. In der Welt über Tage, auf den Spuren von Nams Vater, geben sie sich als Brüder aus. Zugleich schwebt Nams bevorstehender Abschied über ihnen, der ein besseres Leben in Europa verheißt, wenn auch ohne Viet. Und falls Nam die Odyssee im Schiffscontainer überlebt.
Elliptisch erzählt und mit hypnotischen, teils halluzinatorisch aufgeladenen 16-mm-Bildern von Kameramann Son Doan, kreiert der 35-jährige Minh Quy Truong in seinem dritten Langfilm eine sinnlich-traumhafte Atmosphäre, die jenseits mancher Plot-Ungereimtheit fasziniert und an das verrätselte Kunstkino des Thailänders Apichatpong Weerasethakul erinnert, aber auch an das queere Slow Cinema des in Taiwan lebenden Tsai Ming-liang. Was Truongs Film außerdem auszeichnet, ist eine tiefe Trauer und Melancholie. Das war auch der Zensur in seiner Heimat ein Dorn im Auge. Sie hat den Film verboten, weil die Darstellung Vietnams zu negativ und pessimistisch sei. Premiere feierte er schließlich letztes Jahr in der Cannes-Sektion »Un Certain Regard«. Beim Filmfest München erhielt er kurz darauf den CineRebels Award. Nun lässt sich abseits der Festivalblase in Truongs ganz eigene, ambivalente Welt eintauchen. Ein Trip, der Geduld erfordert, aber mit einigen unvergesslichen Momenten belohnt.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns