Interview: Thomas Kretschmann über »Last Contact«

»Ich werde nie der Typ von nebenan sein«
»Last Contact« (2023). © Kick Film GmbH

»Last Contact« (2023). © Kick Film GmbH

Herr Kretschmann, nach »Infinity Pool« und »Indiana Jones und das Rad des Schicksals« sind Sie mit »Last Contact« zum dritten Mal innerhalb weniger Monate in deutschen Kinos zu sehen. Im Vorspann dieses Films ist Ihr Name hervorgehoben, aber für einen Gastauftritt ist die Rolle denn doch zu groß ...

Nun ja, ich bin ja der erste, der tot ist. Die Amerikaner legen ja viel wert auf die Credits, der beste ist single credit first position – und danach kommt 'and'.

Dies war ja eine eher kleine europäische Produktion. Wie viele Drehtage hatten Sie denn hier?

Ich glaube, das waren weniger als zwanzig.

Und im Vergleich: beim neuen »Indiana Jones«-Film?

Die Amerikaner rechnen nicht in Drehtagen, sondern den gesamten Film. Da war ich über zweieinhalb Monate dabei. Ein Teil davon war noch die Vorbereitung, aber dann war ich jeden Tag am Set. Bei der Szene in der Kirche mit Harrison Ford sehen Sie allerdings nicht mich, das wurde später nachgedreht. Für die ganzen Verfolgungsjagden gab es noch die Second Units, es war eine intensive Arbeit, ich war jeden Tag da; der Regisseur James Mangold ist von der einen zur anderen Studiohalle gewechselt, hat einen Take gedreht, dann wurde wieder umgebaut.

Die Szenen, in denen Sie mitwirken, stehen ganz am Anfang des Films. Wurden die am Stück gedreht?

Ja, das fand zu Beginn der Dreharbeiten statt, der erste Drehtag war auch gleichzeitig mein erster Drehtag.  

Wie kam es zu Ihrer Mitwirkung in »Last Contact«? Was war ausschlaggebend? Drehbuch? Rolle? Der Regisseur?

Ich wollte mit dem Regisseur Tanel Toom arbeiten, ich fand das Drehbuch gut und auch die Rolle. Das ist gar nicht so kompliziert. Wenn ich mehrere Drehbücher angeboten bekomme, suche ich mir das beste davon heraus, mit der besten Rolle – und wenn nicht, dann versuche ich die, die ich schlecht finde, wegzulassen, wenn ich es mir leisten kann. Und wenn ich dann zu lange herumsitze, versuche ich das beste aus dem zu machen, was da ist (lacht). »Last Contact« ist so zustande gekommen, dass ich im Frühjahr des Jahres in Estland war und dort einen amerikanischen Film mit zwei jungen Regisseuren gedreht habe, der damals »Kill the Child« hieß, jetzt umgetitelt wurde, aber noch nicht herausgekommen ist. Da habe ich von Tanel Toom gehört, der dort durchaus eine Legende ist. Ich habe mir daraufhin seine Kurzfilme angeschaut, von denen der eine ja auch 'Oscar'-nominiert war. Das fand ich atemberaubend, mit wie wenig Geld er da einen großen Film geschaffen hat; er spielte im 18. Jahrhundert auf dem Land in Estland. Das war ein so spannender epischer Film, dass ich den Regisseur kennen lernen wollte. Dazu kam es dann. Und er hat mir die Rolle angeboten für diesen Film, der mir schon mal vor fünfzehn Jahren angeboten wurde! So lange wurde nämlich schon versucht, dessen Finanzierung auf die Beine zu stellen, damals noch mit ganz anderen Produzenten und einem anderen Regisseur. 

Der Film hat eine sehr physische Komponente. War das beim Dreh für Sie zu spüren, oder aber lief der komplett in einem Studio mit einer Rundumprojektion ab?

Es war gebaut, sah nach nicht viel aus, ringsum war nur Greenscreen, beim Dreh selber haben wir von der Weite gar nichts mitbekommen, denn die Figuren befinden sich ja auf einer Plattform und ringsum gibt es nichts als Wasser - aber wir standen in einer Sperrholzkonstruktion. Da mussten wir schon unsere Imagination spielen lassen. Das war insofern einfach, weil Tanel Toom so extrem gut vorbereitet war, der konnte meine Texte besser als ich (und ich kann meine Texte). Das war ein Vergnügen, so zu arbeiten, weil man wirklich das Gefühl hatte, wenn er jetzt 'ja' sagt nach einem Take, dann ist das auch wasserdicht.

Ist er jemand, der viele Takes macht?

Nein, das bewegte sich im Rahmen des Vernünftigen, manchmal vier oder fünf, manchmal auch nur einer. 

Und wie war dazu im Vergleich »Indiana Jones«?

Auch nicht sehr viel anders. Bei den Spielszenen mit Harrison Ford hätte ich mir gewünscht, dass ich dreißig Takes gehabt hätte - dass man sich da so einfindet. Das waren im Schnitt auch vier bis fünf Takes. Bei Polanskis »Der Pianist« habe ich nur zwei Takes gemacht, irgendwann habe ich ihn gefragt »Can we do more?«, da kam als Antwort »I only need two – one I use, one for backup«. Jemand wie Clint Eastwood macht auch nur einen Take. Ich habe aber auch mit Regisseuren gearbeitet, bei denen das anders ist. Ganz zu Beginn meiner Karriere habe ich in Paris »Die Bartholomäusnacht« mit Patrice Chéreau gedreht, der kam vom Theater und machte immer dreißig Takes.  Der Meister aller Klassen war natürlich Kubrick mit bis zu hundert Takes. Ich finde auch, manchmal ist zu viel Geld und zu viel Zeit gar nicht förderlich. Ich bereite mich auf Takes nicht vor. Ich habe keinen festen Plan, ich entscheide im Moment am Set. Ich möchte eigentlich selbst überrascht werden von dem, was ich mache und vor allem auch von dem, was der andere macht. Aber ich bin auch kein Method-Schauspieler, ich funktioniere nur über meinen Instinkt.

Denkt man in den USA bei Ihnen immer noch in der Kategorie 'Wir haben eine deutsche Figur, da käme Thomas Kretschmann in Frage'?

Nein, das ist die deutsche Sicht, dass das die amerikanische Sicht auf mich ist.

Aber Sie haben etwa Wernher von Braun verkörpert...

Ja, und auch andere, ich hab ja inzwischen schon bei mehr als 100 Projekten mitgemacht...

144, sagt die IMDB.

Echt? Wow! Ich spiele alles, was interessant ist und was ich kriegen kann. Ich werde nie der Typ von nebenan sein, natürlich bin ich ein Nischenschauspieler; die werden mich nie für einen klassischen Amerikaner besetzen. Aber wenn Peter Jackson »Der Pianist« gesehen hat und findet, dass er mich haben will und so ein Standing hat, dass er machen kann, was er will, dann sagt er halt, Thomas Kretschmann' – das finde ich dann schon Kompliment genug.

Ist »Der Pianist« der Film, der für Sie in den USA der Durchbruch war?

Ja, vor allem ist es der Film, der mich vielleicht noch nicht der Öffentlichkeit vorgestellt hat, aber der Industrie. Danach hat sich die Frage nicht mehr gestellt, ' ist das ein guter Schauspieler?' 

Und Sie haben auch keinen Manager, der sagt, »Lass doch diesen kleinen europäischen Film...«

Nein, ich habe keinen Manager, ich habe nämlich mit einem zusammen gelebt, die Mutter meiner Kinder ist Managerin. Meine Agentur arbeitet für mich, dafür bin ich nicht naiv genug, dass die mir sagen können, was Sache ist.

Letzte Frage: wir sind hier in München beim Filmfest, wo Klaus Lemke vor einem Jahr seinen letzten Film vorstellte, kurz vor seinem Tod. Haben Sie noch Erinnerungen an die Dreharbeiten mit ihm in Hamburg zu »Die Ratte« vor dreißig Jahren?

Oh ja, viele! 'Liebe ist wie ein Pfeil, der trifft, bevor man ihn abschießt' hieß es, wenn ich mich recht erinnere, auf dem Plakat. Klaus Lemke war mega, das war direkt nach dem Dreh von »Stalingrad«. In den bin ich reingestolpert, weil Joseph Vilsmaier sich alle jungen Schauspieler angeschaut hat und gesagt hat, 'das ist ein gutes Gesicht...'. Und wenn man ihn gefragt hat, wie man spielen soll, dann hat er gesagt, 'mach halt irgendetwas und wenn es nicht passt, schwenke ich woanders hin'. Klaus Lemke war wie ein großer Bruder, den ich nie gehabt habe. Mit ihm  Hamburg unsicher zu machen, war eine tolle Erfahrung.

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