Venedig 2015: »Francophonia« – Ein Essay über den Louvre, über Krieg, Kunst und Überleben

Bewahrer des verlorenen Schatzes
»Aleksandr Sokurov«

»Aleksandr Sokurov«

Der russische Regisseur Aleksandr Sokurov stellt auf dem 72. Filmfestival von Venedig sein neues Werk »Francophonia« vor, ein Essay über den Louvre, über Krieg, Kunst und Überleben

Wenn man einem Außerirdischen erklären wollte, was ein Museum ist, wäre der Louvre wohl der beste Ort für eine Demonstration. Voll mit Kunst aus den verschiedensten Jahrhunderten und Artefakten der Menschheitsgeschichte, die noch hinter die Antike zurückreichen, ist der Louvre eines der Museen, die zentral sind für die europäische Identität. Nicht zuletzt deshalb steht der Umgang mit dem Louvre im Lauf der Zeit, speziell das, was während des Zweiten Weltkriegs mit den hier bewahrten Schätzen passierte, beispielhaft für den Umgang mit Kultur und Geist in ganz Europa. Der russische Regisseur Aleksandr Sokurov nimmt ihn sich deshalb als Ausgangspunkt seines Filmessay »Francophonia«, das nun auf dem 72. Filmfestival von Venedig Premiere feierte – und prompt zu einem der Favoriten des Wettbewerbs aufstieg.

Sokurov konnte mit seiner Verfilmung von Goethes »Faust« bereits 2011 in Venedig den Goldenen Löwen gewinnen. Mit »Francophonia« legt er nun eine Art Forstsetzung seines vielbeachteten Films über die Eremitage in Sankt Petersburg von 2002, »Russian Ark«, vor. Wie dieser handelt auch »Francophonia« weniger von den Kunstschätzen selbst als von der Geschichte, für die sie stehen. Der Film beginnt mit alten Fotografien unter anderem von Tolstoi und Tschechow, die eine Stimme aus dem Off als Zeugen aufruft und befragen will. Während man den Regisseur selbst in einem bücherübarladenen Schreibzimmer sieht, wo er zwischendurch versucht, per Skype einen Kapitän auf hoher See zu erreichen, hört man ihn weiter aus dem Off über den Louvre, den zweiten Weltkrieg und Europa reflektieren. Er imaginiert die aufgeladenen und schwierigen Begegnungen zwischen Jacques Jaujard (Louis-Do de Lencquesaing), dem Louvrebeuaftragten der Vichy-Regierung und dem von den Nazis in Kunstsachen eingesetzten Graf Franziskus Wolff Metternich (Benjamin Utzerath). Die Szenen sind dabei kein dramatisches Reenactment, wie man es aus Fernsehdokumentationen kennt, sondern gleichen eher verblichenen Fotografien, aus denen die Protagonisten auf uns Zeitzeugen von heute zurückblicken. Zwischendurch lässt Sokurov Napoleon durch die Gänge des Museums laufen, der auf alles mit den stolzen Worten "Das habe ich hierhergebracht" zeigt, und eine Marianne flüstert dazu: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". 

»Francophonia« ist keine strenge Reflexion über Kunst, Krieg und Überleben, sondern eher ein freies Poem über die europäischen Widersprüche. Interessanter Weise berührt Sokurovs Film ein Thema, dem in den letzten Jahren schon zwei weitere, ganz andere Kinofilme gewidmet waren: »Monument’s Men«, in dem George Clooney einen der amerikanischen Kunstretter spielte, und »Diplomatie«, in dem der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff ebenfalls einen imaginierten Dialog im besetzten Paris nachstellte, in dem es um die Rettung von ganz Paris als zentralem europäischen Kunstschatz ging. Im Unterschied zu den beiden Vorgängen aber bringt Sokurov etwas sehr Wichtiges zur Sprache: Und zwar die Unterschiedlichkeit, mit der die deutschen Aggressoren West- und Ost-Europa behandelt haben. Dem Einsatz einzelner kunstliebender deutscher Offiziere für die Schätze des Louvre stellt er die Barbarei der Leningrader Blockade gegenüber. Sokurov betreibt dabei keine Anklage, wie er überhaupt in seinen Reflexionen fast zu nachsichtig mit den Nazis umgeht, aber er weist auf ein wichtiges Ungleichgewicht im europäischen Denken hin.

Meinung zum Thema

Kommentare

Franziskus Graf Wollf Metternich war Professor der Kunstgeschichte und Kunstschutzoffizier der Wehrmacht, keineswegs "von den Nazis in Kunstsachen eingesetzt"!
Weshalb er auch Göring et.al. entgegentrat, deshalb als Kunstschutzoffizier abgelöst und von Hitler aus der Wehrmacht entlassen wurde.
Nach dem Krieg wurde er zum Offizier der französischen Ehrenlegion ernannt.

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