Kritik zu Diplomatie

Trailer französisch © Verleih

Nach seinem Film »Das Meer am Morgen« beschäftigt sich Volker Schlöndorff ein weiteres Mal mit dem von den Deutschen besetzten Frankreich. Diesmal geht es um den General, der sich Hitlers Befehl widersetzte, die Stadt Paris in die Luft zu jagen 

Bewertung: 4
Leserbewertung
2.666665
2.7 (Stimmen: 3)

Es ist der 25. August 1944, die Alliierten haben den deutschen Riegel vor Paris durchbrochen und stehen vor der Stadt. Hitler hat zwei Tage zuvor den Befehl erlassen, dass Paris dem Feind »nicht oder nur als Trümmerfeld« in die Hand fallen dürfe. Die Truppen des Generals von Choltitz, der noch nie einen Befehl infrage gestellt hat (auch nicht die Mitwirkung am Holocaust im Osten), haben die ganze Stadt vermint und warten auf den Befehl zur Sprengung. Notre Dame, der Louvre, die Brücken über die Seine, sie sollen in die Luft gesprengt werden, wenn die Wehrmacht abrückt.

Am Morgen dieses schicksalhaften Tages schleicht sich der schwedische Diplomat Raoul Nordling ins deutsche Hauptquartier, das Hotel »Meurice«, und versucht, den General von Hitlers Plan abzubringen. Mittels einer Geheimtreppe übrigens und durch eine Tapetentür, die, wie er dem verdutzten General enthüllt, für die Geliebte eines französischen Königs eingerichtet wurde. Ganz nonchalant beginnt dieses Kammerspiel von Volker Schlöndorff, aber es wird sich zu einer Auseinandersetzung auf Leben und Tod steigern.

Der Film entstand nach dem Bühnenstück von Cyril Gély, der auch am Drehbuch mitwirkte. Kontakte zwischen den beiden Männern hat es gegeben, aber natürlich ist die Auseinandersetzung zwischen beiden, auf die sich Schlöndorff konzentriert, Fiktion. Die Realität war komplexer, die Résistance hatte bereits die Polizeipräfektur gestürmt, es gab laufend Straßenkämpfe, und Nordling kungelte auch im Schulterschluss mit einem SS-Mann mit der Résistance. Und wir wissen ja, wie es ausgegangen ist: von Choltitz hat sich dem Befehl widersetzt.

Aber dahin, das zeigt der Film von Schlöndorff, ist es ein weiter Weg. Nordling argumentiert in den mitunter auch witzigen Rededuellen zu Beginn mit Vernunft und Menschlichkeit, von Choltitz verschanzt sich hinter Pflichterfüllung und Gehorsam. Aber natürlich ist ihm, dem Strategen, klar, dass die Zerstörung von Paris militärisch sinnlos ist. Der Film funktioniert auch als Duell zweier großer Schauspieler: Niels Arestrup, der den General wie ein Monument gibt, und der viel agilere André Dussollier als mitunter fast verschlagen wirkender Nordling.

»What makes him tick?« – diese Frage aus ­Alfred Anderschs Kriegsroman »Winter­spelt« beantwortet Schlöndorff für den General nie eindeutig. Es ist klar, dass von Choltitz den Glauben an den »Führer« verloren hat – aber auf ein so ausdauerndes, immer wieder unterbrochenes Gespräch mit dem Diplomaten hätte er sich auch nicht einlassen müssen. So etwas wie eine Bindung wächst zwischen den beiden: Als von Choltitz plötzlich einen Asthmaanfall hat, reicht ihm Nordling die Medikamente. Eine Geste der Menschlichkeit? Oder doch nur eine vertrauensbildende Maßnahme? Das lässt Schlöndorff ebenso offen, wie er Blicke nach draußen vermeidet, die etwa die Schönheit der Stadt als Ausgangspunkt für von Choltitz’ Entscheidung bemühen könnten.

Nordling, der Diplomat, ist der Geschicktere, ja der Kaltblütigere. Am Ende führt von Choltitz nur noch seine persönliche Verstrickung ins Feld: Sollte er Paris kampflos übergeben, wäre durch die »Sippenhaft« seine Familie in Gefahr. Im filmischen Pandämonium deutscher Generalität haben Schlöndorff und Gély mit von Choltitz eine neue Facette geschaffen. Kein natürlicher Antipode zum System, wie etwa Curd Jürgens seine Offiziersrollen anlegte, aber auch kein Speichellecker, wie etwa G. W. Pabst in »Der letzte Akt« die Generäle porträtierte. Nein, er ist eher ein Realist – und vor allem ein Rationalist. Kein Schwadroneur und Salonlöwe, als den Schlöndorff Ernst Jünger in »Das Meer am Morgen« gezeichnet hatte.

Natürlich gehören die Sympathien der Zuschauer dem viel eloquenteren Nordling. Aber dass er am Ende dann doch nicht alles hält, was er verspricht, gehört zu den Stärken dieses – trotz seines bekannten Ausgangs – spannenden und intensiven Films über die Freiheit der Entscheidung.

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