Kritik zu Yes

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Nadav Lapid, Berlinale-Gewinner 2019 mit ­»Synonymes«, entwirft in seinem fünften ­Spielfilm ein groteskes Bild der israelischen ­Gesellschaft ­zwischen Kunst, Konsum und Nationalismus

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Eine Party in einer luxuriösen modernen Villa irgendwo in Tel Aviv. Es wird getanzt und gefeiert, getrunken und gesungen, als gäbe es keinen Krieg und auch kein Morgen. Alles ist Rausch und Vergessen. Unter den Gästen, zu denen neben den Reichen und Mächtigen auch hohe Militärs der israelischen Armee und wahrscheinlich auch der eine oder andere Rabbiner gehören, befinden sich der Pianist und Comedian Y sowie dessen Partnerin, die Tänzerin Yasmin. Sie wurden engagiert, die Stimmung zu verstärken, den Rausch in Exzess und Delirium zu treiben.

Wie der von Ariel Bronz gespielte Y immer lauter singt, wie er sich zwischen den Feiernden durchschlängelt, wie er sich in den Pool fallen lässt und schließlich in eine Art Gesangs-Battle mit drei Offizieren verstrickt, hat etwas Manisches. Man kann sich nie ganz sicher sein, ist das nun eine irrwitzige Performance oder ein Versuch, sich selbst auszulöschen. Die fiebrige Intensität der Party wie auch der Performance, die der israelische Filmemacher Nadav Lapid in langen Kamerafahrten und desorientierenden Schnitten einfängt, etabliert von Anfang an ein Gefühl von Haltlosigkeit. »Yes«, Lapids fünfter Spielfilm, ist ein einziger Taumel. Momente der Ruhe und des Innehaltens sind selten. In ihnen würden sich Y, aber auch der israelischen Gesellschaft Wahrheiten offenbaren, vor denen sie lieber fliehen, mal in Partys, mal in Zynismus, mal in Nationalismus und mal in Verzweiflung.

Kurz bevor die von Efrat Dor gespielte Yasmin und Y die Party mit einer reichen älteren Frau verlassen und sich so noch etwas dazuverdienen, entdeckt er einen aufgeschlagenen Ausstellungskatalog und damit ein Gemälde, das auf geradezu gespenstische Weise einem Spiegel der israelischen Wirklichkeit nach dem Terrorangriff und den Massakern der Hamas am 7. Oktober 2023 gleicht. In seinem 1926 entstandenen Ölgemälde »Stützen der Gesellschaft« hat George Grosz die politischen und gesellschaftlichen Zustände in der Weimarer Republik auf bitterböse, sarkastische Weise seziert.

Grosz' Darstellung von Juristen, Journalisten, Parlamentariern der SPD und Geistlichen ist gezielt überzeichnet. Sie alle sind zur Kenntlichkeit verzerrt. Das gilt in einem besonderen Maß für den »Journalisten« mit dem blutbefleckten Palmwedel in der Hand und dem Nachttopf auf dem Kopf, dessen Gesicht die Züge des Pressezaren Alfred Hugenberg trägt. In dieser Figur kristallisiert sich die Verlogenheit einer Gesellschaft, die zwar noch demokratisch organisiert ist, sich aber auf dem Weg in einen autoritären Militarismus befindet. Zu sagen, Grosz hätte mit diesem Gemälde 1933 und die Herrschaft der Nationalsozialisten vorweggenommen, ginge zu weit. Aber »Stützen der Gesellschaft« zeigt in aller Klarheit und voller Wut, warum die Weimarer Republik kaum eine Chance hatte.

Es ist natürlich kein Zufall, dass Y in der delirierenden ersten Szene von »Yes« ausgerechnet auf eine Abbildung dieses Gemäldes stößt. Nadav Lapid stellt sich damit voller Selbstbewusstsein in eine künstlerische Tradition mit Grosz, diesem satirischen Beobachter und Kritiker seiner Zeit. Zugleich reicht er seinem Publikum eine Art Schlüssel zum Verständnis seiner wilden Ästhetik. Die in drei Kapiteln erzählte Geschichte von Y und Yasmin ist kein realistisches Porträt Israels in der Zeit nach dem 7. Oktober 2023. Lapid folgt hier eher Shakespeares »Macbeth«, der vom Leben sagt: »Ein Märchen ist's, erzählt von einem Irren, voll Lärm und Wut, und es bedeutet nichts.«

Wie einst Grosz hat sich Nadav Lapid entschieden, die Verhältnisse zu überzeichnen und alles auszublenden, was seine eben nicht um Mäßigung und Ausgleich bemühte, sondern von fast heiligem Zorn erfüllte Darstellung Israels komplizieren würde. Es gibt also keine Bilder von den Protesten gegen die Netanjahu-Regierung und ihre Form der Kriegsführung in Gaza. Es treten anders als in Grosz' Gemälde nicht einmal Parlamentarier auf, zumindest ist keine der Figuren als Politiker oder Politikerin zu erkennen. Es gibt nur die Reichen auf der einen Seite, die ihre dekadenten Feste feiern und ihr Geld nutzen, um Krieg und Nationalismus anzufachen … schließlich verdienen sie auch damit ihr Geld. Auf der anderen Seite stehen Männer – und es sind vor allem Männer – wie Y und Avinoam, der sich in Zeiten des Krieges als propagandistischer Strippenzieher etabliert hat. Männer, die jeden moralischen Kompass verloren haben und sich willig zu Komplizen der Mächtigen machen.

Einmal erklärt Y seinem einjährigen Sohn Noah, der ausgerechnet am 8. Oktober 2023 geboren worden ist, dass Unterwerfung Glück bedeutet und es nur zwei Worte gebe: »Ja« und »Nein«. Wenn es wirklich so wäre, dann haben sich die Männer eindeutig für das »Ja« entschieden. Sie sind es, die zu allem »Ja« sagen, im Fall von Y sogar zu dem Auftrag eines aus Russland stammenden Milliardärs, eine neue israelische Nationalhymne zu komponieren, deren Text die Stärke Israels und die völlige Zerstörung Gazas feiert. Das »Nein« gehört dagegen den Frauen, Ys vor einigen Jahren verstorbener Mutter, die ihm seinen Hang zur Unterwerfung austreiben wollte, und Yasmin, die Y für sieben Tage verlässt – er will die Musik für die Hymne schreiben.

Wie einst Moses und später Jesus von Nazareth geht Y in die Wüste. Allerdings kommt er nur mit einem grauenhaften Propagandalied zurück. Dafür hat er sich in diesen Tagen mit seiner Jugendliebe Leah getroffen und vom »Hügel der Liebe« aus einen Blick auf die Bombardierung des Gazastreifens geworfen. »O Zeiten, o Sitten?« Lapid malt den Verfall einer Gesellschaft und vor allem das Versagen der Männer in grellsten Farben aus. So wird Ys Unterwerfung, die ihm am Ende doch kein Glück bringt, zu dem Shakespeare'schen Märchen »voll Lärm und Wut«, einer düsteren Erzählung eines Narren, der dem Wahnsinn der Gegenwart einen Rest von Sinn abgewinnen will und daran scheitert.

Dieser Narr schaltet sich in Form einer allwissenden Erzählerstimme immer mal wieder ins Geschehen ein und kommentiert Ys Handlungen. Er weiß genau, dass es kaum ein Entkommen aus der Wut gibt, dass sein moralistischer Gestus ins Leere geht. Aber diese Vergeblichkeit verleiht ihm und Lapids bitterer Satire eine seltsame Noblesse. Lapid mag bewusst zu weit gehen und die Realität durch seine einseitige Darstellung entstellen. Aber in seiner atemlosen, von bizarren Brüchen und kaum zu erklärenden Leerstellen geprägten Ästhetik liegt eine tiefere Wahrheit über Israel in den Jahren nach dem Pogrom der Hamas. In einem in der »Süddeutschen Zeitung« veröffentlichten Essay zum zweiten Jahrestag des 7. Oktobers beschreibt der israelische Schriftsteller Etgar Keret die neue Wirklichkeit seiner Heimat so: »Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn sie stillsteht.« Eben dieses Paradoxon hat Nadav Lapid in rasante und doch nirgendwohin kommende Filmbilder verwandelt. Genau so muss es sich anfühlen, in einem fortwährenden Alptraum zu leben.

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