Kritik zu From the World of John Wick: Ballerina

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»Fight like a girl« ist das Motto in Len Wisemans »John Wick«-Spin-off

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Die Wut und der Frust über ihre eigene Schwäche stehen der jungen Eve ins Gesicht geschrieben. Bei jeder Trainingseinheit unterliegt sie ihrem Gegner, einem Mann, der nicht nur mehr als einen Kopf größer ist als die zierliche Frau. Er wiegt auch mindestens doppelt so viel wie sie. Angesichts dieser Größen- und Kräfteverhältnisse gleicht jeder Kampf mit ihm einer bitteren Erinnerung an all die ungleichen Machtverhältnisse, denen Eve doch eigentlich trotzen möchte. Als sie aufgeben will, gibt ihre Ausbilderin ihr einen Rat. Sie werde Männern körperlich immer unterlegen sein. Deswegen solle sie gar nicht erst versuchen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, stattdessen solle sie »wie ein Mädchen kämpfen«. Genau das macht sie dann in der nächsten Trainingsrunde, und erstmals triumphiert sie über ihren Gegner.

»Fight like a girl« bringt als Motto den Ansatz von »From the World of John Wick: Ballerina«, Len Wisemans Spin-off zur überaus erfolgreichen John Wick-Reihe, perfekt auf den Punkt. Sein gradliniges, extrem konzentriertes Action-Spektakel, das über weite Strecken eine Kampfsequenz an die andere reiht, gleicht einer gezielten Variation auf »John Wick« (2014), Chad Stahelskis und David Leitchs ersten Teil der Reihe. Nach den barocken Exzessen der folgenden drei Kapitel wirkt »Ballerina« im wachsenden John Wick-Universum wie eine Rückbesinnung auf die Anfänge.

Wie einst der von Keanu Reeves gespielte Killer begibt sich Ana de Armas' Eve auf einen Rachefeldzug, der sie schließlich auf Konfrontationskurs mit ihrem eigenen Killer-Clan, den von der Direktorin (Anjelica Huston) geführten Ruska Roma bringt. Allerdings wurzelt ihr Verlangen nach Vergeltung in einem tieferen Trauma als John Wicks. Während er vordergründig den Tod seines kleinen Hundes rächt, in Wahrheit aber wie Lee Marvin in John Boormans »Point Blank« als Vertreter eines ehernen Prinzips auftritt, brennt in Eve eine sie langsam verzehrende Sehnsucht. Sie will die Welt wieder ins Lot rücken.

In der Nacht, in der der von Gabriel Byrne verkörperte »Kanzler«, Kopf eines anderen Clans, Eves Vater ermordet hat und sie nur knapp entkommen konnte, ist etwas in Eve zerbrochen. Sie hat in dieser Nacht ihre Unschuld verloren. Zugleich hat das ihr vorbestimmte Schicksal sie eingeholt, allerdings auf eine ironische Weise. Wenn sie nun nach dem »Kanzler« sucht und ihn schließlich in einem kleinen österreichischen Bergdorf findet, rächt sie sich nicht nur. Sie versucht auch, den Kindern dieses Clans das Schicksal zu ersparen, das ihr widerfahren ist.

Eves Mission, ihr ganz konkreter Wunsch, zumindest ein Mädchen und ihren Vater zu retten, verleiht Wisemans Film eine überraschende Wärme. Trotz aller Genreexzesse erinnert einen der Film immer wieder an Eves innere Verletzungen und Dämonen. »Fight like a girl« heißt eben auch, niemals die eigene Verletzlichkeit und Menschlichkeit zu vergessen.

Eve und ihre Geschichte bringen so eine neue Facette in die Welt von John Wick, der einen erstaunlich unspektakulären Gastauftritt hat. Selbst in ihr kann es ein Leben jenseits der Gewalt geben. Aber für Eve ist diese andere Seite ebenso für immer versperrt wie für John Wick.
 

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