Netflix: »Goodbye June«

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Für die Mischung aus Weihnachtsfilm und Familiendrama hat Kate Winslet sich erstmals in die Regieposition gewagt, das Drehbuch zum Film schrieb ihr Sohn Joe Anders

Dass die Schauspielerei nach mehr als 30 Jahren vor der Kamera für Kate Winslet nicht mehr genug ist, deutete sich bereits bei »Die Fotografin« an. Das Biopic über Lee Miller stemmte die Britin nicht nur als Hauptdarstellerin, sondern war als Produzentin die treibende Kraft, die mit langjähriger Beharrlichkeit das Projekt überhaupt Wirklichkeit werden ließ. Nun geht sie mit »Goodbye June« noch einen Schritt weiter und gibt ihr Regiedebüt.

Winslets Erstling ist Weihnachtsfilm und Familiendrama in einem. Entsprechend handelt es sich bei June nicht um einen Monatsnamen, sondern um die titelgebende Matriarchin (Helen Mirren), die ihre ein wenig auseinandergedriftete Familie zusammenzuhalten versucht. Als Junes schwere Krebserkrankung sie kurz vor Weihnachten wieder einmal in die Klinik bringt, zeigen immerhin alle Kinder Präsenz an ihrem Krankenbett. Nesthäkchen Connor (Johnny Flynn) ist seiner Mutter ohnehin am nächsten, während Julia (Winslet selbst) als erfolgreiche Karrierefrau und angesichts von drei Kindern und einem meist beruflich abwesenden Mann sonst eher selten zugegen ist. Molly (Andrea Riseborough) ist gerade mal wieder Mutter geworden und Helen (Toni Collette), immer schon die eigenwilligste unter den vier Geschwistern, muss erst einmal aus dem Ausland anreisen, bevor sie die anderen mit ihrer Schwangerschaft überraschen kann.

Weil schnell klar wird, dass Junes Gesundheitszustand sich nicht mehr verbessern wird, und die Feiertage vor der Tür stehen, aber auch weil Vater Bernie (Timothy Spall) angesichts seiner schweren alten Beinverletzung (sowie der Vorliebe für Bier, Fußball und Pub-Abende) keine große Hilfe ist, verbringen die Kinder mitsamt dem eigenen Nachwuchs mehr und mehr Zeit im Krankenhaus. In die Melancholie des Abschiednehmens und die Besinnlichkeit der Adventszeit mischen sich dann auch allerlei alte Familienreibereien und unterdrückte Emotionen. Nicht ohne Option auf Aussöhnung allerdings.

Eigentlich, so gab Winslet in der Vergangenheit zu Protokoll, habe sie immer Angst vor der enormen Verantwortung gehabt, die mit einer eigenen Regiearbeit einhergeht. Dass sie für »Goodbye June« das Wagnis nun doch einging, lag – wie sie betont – einzig und allein am Drehbuch. Beziehungsweise wohl an dem jungen Autor, der dafür verantwortlich zeichnet, handelt es sich doch bei Joe Anders um ihren eigenen Sohn. Der ist gerade einmal 21 Jahre alt und gibt hier nach ersten Gehversuchen als Schauspieler (darunter in »Die Fotografin« oder »1917« von seinem Vater Sam Mendes) sein Drehbuchdebüt.

Wer sich ein bisschen auskennt oder recherchiert, erfährt schnell, dass Anders sich für seine Geschichte von der eigenen Familie inspirieren ließ. Winslet hat selbst drei jüngere Geschwister und einen Vater, der sich seinen Fuß bei einem Bootsunfall schwer verletzte. Der Krebstod ihrer Mutter vor einigen Jahren war dem Vernehmen nach für die gesamte Familie ein einschneidendes Erlebnis. Dass man den unmittelbaren, persönlichen Bezug, den Regie und Drehbuch zu diesem Stoff und den Figuren haben, als Zuschauer*in viel zu selten wirklich spürt, ist allerdings die große Schwäche dieses ansonsten durch und durch sympathischen Films.

Von der gleichermaßen liebevollen wie stoisch-freimütigen June im Zentrum über den geduldig-herzensguten Pfleger Angel (Fisayo Akinade), zu dem Connor ganz langsam zarte Bande knüpft, bis hin zu allzu schnell wiederhergestellter Geschwisterharmonie oder zu den immer im richtigen Moment vorm Krankenhausfenster fallenden Schneeflocken wirkt auf der Skriptebene und in der Inszenierung alles ein wenig zu konstruiert und zu glatt. Keiner der Figuren wird genug Raum gegeben, so dass man sie als dreidimensionale Personen mit all ihren Sorgen und Bedürfnissen zu greifen bekäme, daran ändert auch die hochkarätige Besetzung nichts. Das heißt nicht, dass »Goodbye June« als großfamiliäre Weihnachtsgeschichte nicht anrührend (und handwerklich durch die Bank solide) wäre. Nur etwas weniger glattpoliert wäre sie vielleicht noch interessanter geraten.

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