Kritik zu Von jetzt an kein Zurück

© Salzgeber

Christian Frosch wirft einen Blick zurück im Zorn auf die Jahre '68 bis '77, indem e das Schicksal zweier sensibler Teenager zeigt, die der Enge der westdeutschen Provinz entfliehen wollen und in christlichen Erziehungsheimen landen

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Es ist kaum auszuhalten, das Leben in der westdeutschen Provinz im Jahr 1968. Die Nachrichten berichten zwar von Aufbrüchen und Protesten, doch Berlin ist unendlich weit entfernt. In der Kleinstadt, in der Ruby und ihr etwas älterer Freund Martin leben, scheint die Zeit dagegen stehengeblieben zu sein. Hier herrscht noch der »Muff von tausend Jahren«. Das Sagen haben Männer wie Rubys Vater, ein despotischer Kleinbürger und Katholik, oder der Direktor des Gymnasiums, der Martin zwar ein paar wohlmeinende Worte mitgibt, ihn aber letztlich auch nur brechen will.

Zucht und Ordnung, lange Röcke und kurze Haare, das ist das Deutschland, in dem das von Victoria Schulz und Anton Spieker gespielte Teenagerpaar gefangen ist. Mit jeder neuen Erniedrigung wachsen ihre Sehnsucht und ihr Verlangen, bis sie schließlich auf der Vespa eines Freundes den Ausbruch wagen und so tragisch wie banal scheitern.

Die Enge der Provinz und die Enge in den Köpfen der Erwachsenen sind in Christian Froschs Melodrama geradezu erdrückend. Wenn sie unter sich sind, können Ruby und Martin sie zwar für Momente vergessen. Aber dieses Gefühl von Glück und Freiheit, das etwa in ein paar Stücken Fliegenpilz liegen kann, hält nicht an. Eine Zeit lang öffnen sich die Handkamerabilder. Das Breitwandformat weicht dann dem freieren, nicht so einengenden Cinemascope. Sobald die beiden wieder zurück sind in der Welt der Väter und Lehrer, Polizisten und Richter, verengt sich auch das Bild wieder, wird erneut zu einer Art Schraubstock und zum Ausdruck der Atmosphäre von Gewalt und Verdrängung.

Nach ihrem Fluchtversuch landen die Liebenden im System. Ruby wird in ein Kloster der Barmherzigen Schwestern geschickt. Und Martin kommt nach Freistatt, in das berüchtigte Erziehungsheim der Diakonie, das im Endeffekt eine Art Arbeitslager war. Mit der Trennung der beiden wird Von jetzt an kein Zurück zum Heim- und Gefängnisfilm. In einem fast dokumentarisch anmutenden Stil erzählt Frosch von den Methoden, mit denen rebellische Jugendliche zu funktionierenden Untertanen dressiert werden sollten. Jedes der rauen Schwarz-Weiß-Bilder, in denen Frank Amann die Gewalt und die Willkür der Barmherzigen Schwestern wie der Aufseher in Freistatt porträtiert, wird zu einem filmischen »J’accuse«.

Christian Froschs Zorn angesichts der Verhältnisse, die sein Liebespaar zerstören, erfüllt jeden Augenblick des Films. Von jetzt an kein Zurück hat etwas Maßloses, in seinem Groll wie auch formal. So folgt auf das Heimkapitel ein Sprung ins Jahr 1977. Ruby schlägt sich nun als Schlagersängerin durch und ertränkt ihre Erinnerungen in Alkohol. Martin, der Schriftsteller werden wollte, war aufgrund von Verbindungen zur terroristischen Szene im Gefängnis. Als die beiden noch einmal zusammentreffen, ist ihre Zukunft längst vorüber. In diesen Momenten erinnert Froschs Aufschrei an Rainer Werner Fassbinders Arbeiten jener Jahre. Wie Fassbinder gelingt auch Frosch eine Repolitisierung des Melodramatischen. Die Emotionen, die er provoziert, lähmen nicht, sondern sind ein Ansporn zu handeln.

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