Kritik zu Vivan las Antipodas!

© Farbfilm

2011
Original-Titel: 
¡vivan las antipodas!
Filmstart in Deutschland: 
23.02.2012
L: 
108 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Victor Kossakovsky gehört neben Sergej Losnitza (mittlerweile Ukrainer) und Sergej Dvortsevoj zu den bedeutendsten aktuellen russischen Dokumentaristen, sein neuester Film ist eine mehrheitlich deutsche Produktion

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Antipoden, das lernen wir in der Grundschule, sind die Menschen, die auf der gegenüberliegenden Seite des Globus leben, wenn man durch den Erdmittelpunkt in die Tiefe stechen würde. Da der größte Teil der Erdoberfläche Meer ist, sind die wirklich von Antipodenpaaren bewohnten Regionen rar. Vier von ihnen hat Victor Kossakovsky für seinen Film ausgewählt, in Nordost-Argentinien und Südchina, Patagonien und der Baikal-Region, Neuseeland und Spanien, Botswana und Hawaii. Es sind (bis auf Shanghai) eindrucksvolle ländliche Landstriche und oft einsame Menschen: Zwei Brüder, die in Argentinien eine Flussfähre betreiben und lakonisch über Frauen und Wetter parlieren. Ein Einsiedler mit Pferd, der seine acht Katzen wie Hunde zum Spaziergang ausführt, während oben Kondore kreisen. Einer scheint in Hawaii direkt auf einem brodelnden Vulkan zu hausen. Und zwei Russinnen, Mutter und Tochter, die am Baikalsee wie aus dem Naturmodekatalog farblich zur Landschaft abgestimmte Kleider tragen. Eine enorme Vogelblicktotale aufs malerischen Tal, während unten die Tochter mit dem Bus aus den Ferien ins Internat davonfährt, verrät uns, dass sich Kossakovsky nicht nur hier keinesfalls zufälligen Begegnungen anvertraut, sondern mit planender Hand inszeniert. In der Montage spielt er versiert auf dem Klavier von Assoziation und Kontrast und verschmilzt etwa die Haut eines verendeten Wals am neuseeländischen Strand mit der rauen Oberfläche eines Basaltfelsens (Spanien), in dessen Pfützen sich neues Leben tummelt. Bis zum Klischee ausgespielt der Kontrast zwischen argentinischer Beschaulichkeit und dem hektischen Trubel der südchinesischen Metropole, die durch Farbstimmung und Sounddesign entsprechend aufgeputscht wird und für Materialismus und Mammon stehen muss. Am wenigsten Zugang hat der russische Filmemacher offensichtlich in Botswana gefunden, wo die Kamera das abendliche Treiben auf einer Dorfstraße mindestens so distanziert wie Löwen und Elefanten beobachtet. Verbunden sind die einzelnen Schauplätze durch aufwendig animierte Passagen, die sie in Simulation einer virtuellen Erddurchquerung mit Spiegel- und Dreheffekten ineinander überführen.

Der 1961 in Leningrad geborene, vielfach ausgezeichnete Regisseur hat seit seinem Debüt mit Belovy 1994 ganz unterschiedliche Themen und oft innovative Formen gewählt. Vivan las Antipodas! kommt jetzt wie das Gegenprogramm zu Tishe! (2003), wo der Dokumentarist die minutiöse Beobachtung des Straßenlebens unterhalb seines Schlafzimmerfensters in Petersburg zu einem melancholischen Kommentar über das Leben im Allgemeinen und in Russland im Besonderen verdichtet. Schuf Tishe! aus dem kargen Fast- Nichts eine ganze Welt, so springt Vivan las Antipodas! die Zuschauer mit Produktionswerten von um die 1,5 Millionen Euro prahlerisch an – heftig unterstützt vom hochgetunten Sounddesign und der pompösen Musik von Alexander Popov. An Substanz aber bleibt am Ende nur die Platitüde, dass die Welt groß ist und alles irgendwie mit allem zusammenhängt. Das ist eindeutig zu wenig für den Aufwand.

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