Kritik zu Verblendung

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David Fincher hat Stieg Larssons Bestseller neu verfilmt. In den Hauptrollen: ein verletzlich wirkender Daniel Craig und eine grandiose Rooney Mara als Lisbeth Salander

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David Fincher und Stieg Larssons Bestseller »Verblendung«, das klingt nach einer perfekten Verbindung von Regisseur und Material: Ein mehrfach erprobter Könner des Serienkiller-Genres nimmt sich einen der populärsten Serienkiller-Romane der letzten Jahre vor. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Stockholmer Journalist Mikael Blomkvist, der gerade von dem Großunternehmer Wennerstrom wegen Verleumdung verklagt wurde. In dieser Situation erhält er von dem alternden Industriemagnaten Henrik Vanger den lukrativen Auftrag, sich auf die Suche nach dem Mörder seiner geliebten Großnichte zu begeben, die vor 40 Jahren spurlos verschwand. Der schwerreiche, heillos zerstrittene Vanger-Clan lebt auf einer abgelegenen Privatinsel in Nordschweden. Blomkvist quartiert sich auf dem eingeschneiten Eiland ein und kommt mit Unterstützung der gleichermaßen genialischen wie unberechenbaren Hackerin Lisbeth Salander einem Serienkiller auf die Spur.

Seit der ersten Ankündigung wurde Finchers Umsetzung des Stoffes mit großer Spannung erwartet. Und tatsächlich ist das Ergebnis  in vielerlei Hinsicht so gelungen, wie die ersten Bilder und Ausschnitte erwarten ließen. Verblendung ist visuell und akustisch betörend, ein Meisterstück in Sachen filmischen Handwerks. Kameramann Jeff Cronenweth lässt das ländliche Schweden so trostlos aussehen, dass dagegen selbst Ingmar Bergmans Filme lebensfroh anmuten. Die Tonspur verzahnt immer wieder Geräusche der Handlung mit der Musik von Trent Reznor und hüllt die Bilder in einen Klangteppich, bei dem es lohnt, selbst auf nebensächlichste Töne zu achten, da sie später noch einmal von Bedeutung sein könnten. Auch die Besetzung ist bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragend. Und trotz alldem lassen einen die Geschehnisse weitgehend kalt. Das kann Finchers distanziert wirkender Inszenierung geschuldet sein, hängt bei genauerer Betrachtung aber vor allem mit Steven Zaillians Drehbuch zusammen. Im Roman mögen Motive wie die schwedische Nazivergangenheit, soziale Missstände sowie die Kritik an der Macht der Banken und Industriellen eine kritische Resonanz entwickelt haben, galt Stieg Larsson doch als politisch sehr engagierter Faschismusexperte. Im Film aber wirken diese Anspielungen wie abgedroschene atmosphärisch Werkzeuge, ohne inhaltliche Bedeutung.

Dieser gesellschaftspolitischen Unterfütterung beraubt, schrumpft die Geschichte sehr schnell zu einem spannenden, jedoch reichlich konstruiert wirkenden Thriller zusammen. Fincher macht das Beste daraus und inszeniert die zermürbende Spurensuche mit einem geradezu literarisch anmutenden Sinn für vermeintlich unwichtige Details. Selten sieht man im heutigen, auf Effizienz getrimmten Erzählkino Hollywoods so oft Menschen auf Reisen, an Bahnhöfen, beim Rauchen, beim Zubereiten einer Mahlzeit oder beim Eingießen eines Drinks.

Dankenswerterweise haben Zaillian und Fincher zumindest die feministische Perspektive der Vorlage auf die Leinwand gerettet. Das Motiv männlicher Kontrollgier und Destruktionsfantasien taucht dabei nicht nur in Gestalt eines Vergewaltigers und des Serienkillers auf, sondern klingt auch im fortwährenden Ausspionieren von Gegnern und Mitarbeitern sowie dem Konflikt zwischen Blomkvist und Wennerstrom an. In dieser durch und durch maskulinen Welt mutet die Punk-Goth-Rockerin Lisbeth Salander wie eine feministische Ermächtigungsfantasie an. Ihre staatliche Einstufung als gesellschaftlich inkompatibel muss man als Auszeichnung verstehen. Ihr Charakter, der sich in bester Howard-Hawks-Manier fast ausschließlich durch »Action«, Taten, erschließt, gibt der Geschichte ein emotionales Gravitationszentrum. Eine »Fledermaus aus der Hölle« hat David Denby sie im »New Yorker« genannt, wobei ihre ganz persönliche Hölle offenbar schon in jungen Jahren von Männern gemacht wurde. Auf ihrem pechschwarzen Motorrad rast sie in ständigen Kurvenbewegungen geschmeidig durch die ansonsten betont statischen Bildkompositionen. Auffallend der Kontrast zu den Zügen und den schweren Limousinen des Films, die den Menschen keinerlei Bewegungsspielraum zu lassen scheinen. Auch die Erzählung selbst gewinnt erst richtig an Fahrt, als Salander und Blomkvist nach rund einer Stunde zusammentreffen. Bemerkenswert verletzlich und hilflos wirkt der muskulöse Daniel Craig neben ihr; in der Sexszene der beiden gibt es keinen Anflug beherrschender Domaninz. Und ist es ein Zufall, dass der sympathische Industriebaron Henrik Vanger von Christopher Plummer verkörpert wird, in dessen Gestik und Mimik stets etwas Feminines mitschwingt? Die Darstellerin der Lisbeth, Rooney Mara, gibt zwischen all den gestandenen Mannsbildern jedenfalls das, was man im Englischen eine »star-making performance« nennt. Ihr ist es zu verdanken, wenn man die Adaption des nächsten Romans nicht erwarten kann.

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