Kritik zu Springsteen: Deliver Me from Nowhere

© 20th Century Studios

2025
Original-Titel: 
Springsteen: Deliver Me from Nowhere
Filmstart in Deutschland: 
23.10.2025
L: 
120 Min
FSK: 
12

Jeremy Allen White mausert sich vom »Bear« zum »Boss«: Das zweistündige Biopic begleitet Bruce Springsteen bei der Produktion seines Albums »Nebraska«, während der Rockmusiker selbst in einer emotionalen Krise steckt

Bewertung: 4
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»Ich weiß, wer Sie sind«, sagt ein Autohändler zu dem jungen Mann mit den braunen Locken in der Lederjacke, der sich gerade einen schnellen Wagen ansieht. »Da wissen Sie mehr als ich«, antwortet dieser. Bruce Springsteen, Anfang der 1980er-Jahre, wirkt verloren: Der angehende Rockstar aus New Jersey hat drei erfolgreiche Alben (»Born to Run«, »Darkness on the Edge of Town« und »The River«) veröffentlicht, seine Konzerte sind ausverkauft, die Erwartungen an das nächste Album entsprechend hoch. Doch der »Boss«, so sein Spitzname, ist orientierungslos und getrieben.

Er hängt in Diners ab, spielt mit befreundeten Bands in kleinen Clubs, besucht seinen Kumpel in einer Autowerkstatt, datet eine alleinerziehende Mutter aus einer ärmeren Nachbarschaft – seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen lässt ihn nicht los. Andererseits wächst sein Ruhm: Er wird auf der Straße erkannt, kauft sich eine Villa am See. Und dann ist da noch die – wortwörtlich – graue Erinnerung an seine Kindheit, die sein Leben in Angst vor dem gewalttätigen, trinkenden Vater zeigt und ihn weiterhin verfolgt.

Jeremy Allen White spielt Springsteen mit melancholischem Einschlag als Künstler, in dem etwas zu brodeln scheint, das er selbst nicht benennen kann. Es entlädt sich in schwermütigen Songtexten. Allen White meistert die Boss-Transformation: Glaubhaft imitiert er Springsteens New-Jersey-Slang und die Art und Weise, wie er bei Konzerten mit angezogenen Schultern, geschlossenen Augen und angespanntem Nacken von schräg unten ins Mikrofon singt, während er seine Gitarre bearbeitet. Die Gesangsparts, die der Schauspieler selbst eingesungen hat, sind nah genug am Original, um die meisten Fans zu besänftigen.

»Deliver Me from Nowhere« basiert auf dem Buch von Warren Zanes aus dem Jahr 2023 und reiht sich ein in die Biopics erfolgreicher Musiker*innen der vergangenen Jahre – »Bohemian Rhapsody« über Freddie Mercury, »Back to Black« über Amy Winehouse und jüngst »Like a Complete Unknown« über Bob Dylan. Zwar reitet die Produktion auf dieser Erfolgswelle mit und wendet sich an die Millionen Fans des Musikers, der gerade erst (mit 75 Jahren!) eine erfolgreiche Welttournee beendet und mit seiner offensiven Kritik an Donald Trumps antidemokratischer Politik für Furore gesorgt hat.

Dennoch hebt sich der Film angenehm ab, weil er sich nicht an erwartbaren Wegmarken von Springsteens künstlerischem Werdegang abarbeitet. Er verwehrt die klassische Heldenreise, die im großen Durchbruch oder fulminanten Comeback endet. Stattdessen konzentriert sich Regisseur und Co-Autor Scott Cooper auf eine Phase der Unsicherheit in Springsteens Karriere – dem »Making of« von »Nebraska«, einem bis dato für Springsteen untypischen, sperrigen Album. Aufgenommen nur mit Gitarre, Mundharmonika und Glockenspiel – allein in seinem Schlafzimmer auf Kassette.

Dass vor allem Springsteens innere Dämonen im Vordergrund stehen, unterläuft die Erwartungen, ebenso wie der Musiker selbst, wenn er Songs wie »Born in the U.S.A.« nach der Aufnahme zunächst beiseitelegt, während sich die Produzenten bereits die Finger danach lecken – wohlahnend, dass es sich hier um schlummernde Megahits handelt. Aber Springsteen lässt seine E-Street-Band im Studio stehen und konzentriert sich voll und ganz auf »Nebraska« – ein Album mit ruhigen, düsteren Songs ohne Hitpotenzial. Springsteen will keine Single veröffentlichen, keine Tournee absolvieren und keine Interviews geben. »Nebraska«, das heute einen gewissen Kultstatus erreicht hat, war dann auch nur unterdurchschnittlich erfolgreich.

Und doch gelingt es dem Film, dem Publikum klarzumachen, warum der »Boss« genau dieses Album zu genau diesem Zeitpunkt und in dieser Form aufnehmen und veröffentlichen wollte – nein, sogar musste. »Deliver Me from Nowhere« endet eher mit einem (Zusammen-)Bruch als mit einer Heilung, aber auch einer angedeuteten Versöhnung. Zwei Jahre danach wird Bruce Springsteen mit »Born in the U.S.A.« zum Weltstar. Spätestens dann wusste jeder, wer er ist – vielleicht auch er selbst.

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