Kritik zu Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen

© Studiocanal

2012
Original-Titel: 
Mirror Mirror
Filmstart in Deutschland: 
05.04.2012
L: 
106 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Mehr als die alte Zickenstreitgeschichte im neuen Gewand: Tarsem Singh findet im Grimm’schen Märchen den idealen Stoff für seinen Opulenzwillen und überraschende sozialrevolutionäre Ansätze

Bewertung: 4
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Eine böse Königin, eine unschuldige Prinzessin, ein edler Ritter und sieben Zwerge, das sind im Wesentlichen die Ingredienzien eines berühmten Märchens, das schon zahllose Male verfilmt wurde. Nun setzt der Inder Tarsem Singh mit einer gekonnt aberwitzigen Neuinterpretation dagegen, mit einem Action- Realfilm, in dem es um mehr geht als verletzte Eitelkeit und ewige Liebe – es kommt das soziale Gewissen ins Spiel, eine verwöhnte Prinzessin teilt emanzipatorische Befreiungsschläge aus, und die böse Königin wird ausgerechnet von Julia Roberts gespielt. Das oft arg schwülstig anmutende Kunstwollen früherer Filme von Tarsem Singh (The Fall, Krieg der Götter) löst sich hier perfekt im symbolträchtigen Prunk opulenter Märchenwelten auf, in einer überbordenden Orgie der Farben und Formen in Ausstattung und Kostümen. Mit einer Fülle optischer Einfälle und origineller Ideen ist Spieglein, Spieglein die aufmüpfigste Neuinterpretation klassischer Märchenwelten seit Dreamworks’ Shrek.

»Es war einmal – ein König und seine geliebte Königin, die bekamen eine Tochter, der sie den prätentiösesten Namen gaben, der ihnen einfallen konnte: Schneewittchen.« Voller Geringschätzung lässt sich Julia Roberts die geschliffen bösen Worte auf der Zunge zergehen, wenn sie diese Geschichte erzählt. Mit einem verächtlichen Schulterzucken und einer wegwerfenden Handbewegung verbindet sie den Geist des Schulhofzickenkriegs mit der Grandezza einer Königin – nur einer von vielen irrwitzigen Widersprüchen, die hier aufeinander prallen.

Aus der drollig bunten Zwergenschar wird da kurzerhand eine düstere Bande von Räubern, die ganz in Schwarz und auf riesigen Ziehharmonikastelzen die verschneiten Wälder malerisch unsicher machen, aus Rache dafür, dass sie einst wegen ihrer Kleinwüchsigkeit von den Dorfbewohnern zum Gespött gemacht wurden. Alle, die sonst in den Märchen schwach und hilflos auf magischen Beistand warten, nehmen ihr Schicksal hier beherzt selbst in die Hand. So zettelt die verstoßene Prinzessin unter den Dorfbewohnern, von denen die Königin immer höhere Steuern abpresst, um ihr Luxusleben zu finanzieren, kurzerhand eine Revolution an. Nach Jahren der ermüdenden Lektüre über verschreckte Prinzessinnen, die von edlen Rittern gerettet wurden, sperrt Schneewittchen den jungen Prinzen und die Zwerge kurzerhand in ihre Holzhütte, um dem Monster selbst entgegenzutreten. Lily Collins sieht dabei auf zauberhafte Weise so aus, als sei sie Anne Hathaway schwesterlich verbunden und mit einigen Liz-Taylor-Genen ausgestattet. Und das Monster wirkt wie eine Kreuzung aus dem Wolf aus »Rotkäppchen«, dem Biest aus Cocteaus Die Schöne und das Biest und einem überaus wendig animierten Märchendrachen.

Eine echte Augenweide sind die ebenso opulenten wie hochdramatischen Kostüme der im Januar verstorbenen Kostümbildnerin Eiko Ishioka, die für Bram Stoker’s Dracula einen Oscar bekam und bisher alle Filme von Tarsem Singh mit ihrem exzentrischen Stil geprägt hat. Mit flatternden Spitzenstehkrägen und ausladenden Schuppenröcken, mit Gefieder und Stickereien, monströsen Krägen und aufgebauschtenPuffärmeln zieht sie hier noch ein letztes Mal alle Register ihrer Kunst, die sie unter anderem auch im Cirque du Soleil und bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Peking ausübte. Eingebettet sind diese bisweilen schrill bunten und immer ausladenden Kreationen in malerische Szenerien, die künstliche Computerschöpfungen mit den realen Inszenierungen der Natur verschmelzen. Unter einem endlosen Horizont voll dramatischer Wolkenformationen breitet sich eine Märchenlandschaft aus, mit einem bizarren Schloss auf einer schwindelerregend schmalen Felsklippe. Zwischen den langen, schmalen Stämmen eines Birkenwaldes bilden die schwarzen Stelzenzwerge einen schönen Kontrast zum weißen Zuckerschnee. Am Ende ist der vergiftete rote Apfel nicht mehr als eine Fußnote, und alle Welt stimmt ein in ein grandioses Bollywood-Finale.

 

 

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