Kritik zu Sivas

Trailer OmeU © Coloured Giraffes

Der türkische Wahlberliner Kaan Müjdeci taucht in seinem Debütfilm in die Welt der ländlichen türkischen Kampfhundewettbewerbe ein und erzählt beiläufig vom Erwachsenwerden eines Elfjährigen

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Sivas ist ein hochbeiniger weißer Hund mit abgebissenen Ohren und traurigem Ausdruck, groß wie ein Kalb. Das schöne Tier gehört einer Rasse von Schäferhunden an, die unter Bauern in Anatolien zu Hundekämpfen abgerichtet werden. Abseits der Dörfer hetzen die Männer Rüden aufeinander, bis der Unterlegene zurückbleibt und der Sieger seinem Besitzer den Glanz des Champions verleiht.

Ausgerechnet Aslan (Doğan Izci), ein elfjähriger Knirps, wird in Kaan Müjdecis Spielfilmdebüt »Sivas« Herr über das Tier, das ihn, wenn es seiner Stärke bewusst wäre, aus dem Weg räumen könnte. Aslan nämlich bleibt bei dem Tier, als es, verletzt vom Hund des Dorfvorstehers, liegen bleibt und nichts mehr wert scheint für den deklassierten Besitzer. Der Junge aber behütet Sivas, setzt bei Bruder und Vater durch, dass er am Haus der Familie unterkommt und als sein, Aslans Hund, respektiert wird. Der Junge nutzt das ihm zugefallene Symbol männlicher Macht und begreift instinktiv, was es heißt, in seiner geschlossenen Welt erwachsen zu werden.

»Sivas« geht auf einen Dokumentarfilm zurück, den der 35-jährige Berlin-Kreuzberger Regie-Autodidakt Kaan Müjdeci 2012 unter Anhängern des verbotenen Hundekampfs in seinem Geburtsland Türkei drehte. Er erwarb damit die Unterstützung türkischer Kulturbehörden für seinen Spielfilm. 2014 gewann die mit Laiendarstellern gedrehte Studie den Jury-Spezialpreis des Filmfestivals in Venedig, 2016 vertritt sie die Türkei im Wettbewerb um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.

»Sivas« taucht im Modus einer gelassenen ethnologischen Beobachtung in die Zeitlichkeit des Landlebens ein, bevor man mit Bildern eines Hundekampfs konfrontiert wird. Der Film unterspielt das Klischee »Hunde und Kinder garantieren sentimentalen Erfolg« auf packende Weise. Die Kamera begleitet den Trott des Jungen durch das verwitterte Dorf, sie schaut ihm in Augenhöhe über die Schulter, nimmt das Grau der Hügel beiläufig wahr. Aslans Schuluniform ist fast haptisch spürbar, obwohl die Frauen, die die Westen strickten, in Aslans Gesichtsfeld nahezu unsichtbar bleiben.

Kaan Müjdeci gelingt eine merkwürdige Schwebe zwischen Humor und Härte, die Aslans Bemächtigung des großen Hundes schließlich ebenso absurd wie plausibel erscheinen lässt. Der renitente kleine Mann in diesem Kind weist schließlich mit dunkel-trotzigem Spähblick die ihm zugedachte Zwergenrolle in der Schneewittchen-Aufführung ab, die der Lehrer für den »Tag des Kindes« plant. Aslan will die Prinzenrolle auf keinen Fall dem Sohn des Dorfvorstehers überlassen, schon weil Ayşe, das Mädchen, das ihm die kühle Schulter zeigt, die Prinzessin verkörpern soll. Seine Herrschaft über Sivas aber weckt mehr als die Prinzenrolle in ihm auf, erst recht, als der Dorfvorsteher einen Ausflug vorschlägt, bei dem das Tier seine animalische Kraft beweisen soll. »Kampf« ist der Kern seines Großvortrags vor dem wilden Haufen auf der langen Autotour zu Sivas' Meisterschaft. Der Junge aber hat andere Pläne.

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