Kritik zu Schwarzer Ozean

© Salzgeber

Das Ungeheuerliche spiegelt sich nur in den Gesichtern: Die jungen Marinerekruten Massina und Moriaty werden, nur geschützt durch eine Sonnenbrille, Zeugen eines französischen Atombombentests in den frühen siebziger Jahren

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Ohne über das Ziel und den Zweck der Reise unterrichtet zu sein, sind die jungen Männer in die Nähe des südpazifischen Mururoa- Atolls gebracht worden, wo das französische Militär insgesamt über 170 Tests durchführte. Für Massina (Nicolas Robin) und Moriaty (Adrien Jolivet) ist danach, nachdem sie Zeugen einer Explosion wurden, nichts mehr wie zuvor. Die Art der Inszenierung dieses Höhepunkts verdeutlicht, dass das Interesse der belgischen Filmemacherin Marion Hänsel nicht dem fraglos Spektakulären des Ereignisses gilt. In Schwarzer Ozean hört man die Detonation nur als fernes Grollen, der Atompilz verflüchtigt sich schnell, das kaum bewegte Meer, eines der zentralen Motive des Films, geht gleichgültig über das Ereignis hinweg.

Schwarzer Ozean ist weder Plädoyer für die Umwelt noch Pamphlet gegen die Atomrüstung. Die Geschichte ist nicht militärisch codiert, das Soldatische reduziert sich auf ein paar Drillübungen, ansonsten scheint man sich auch nach der Detonation in einem eigentümlich ort- und zeitlosen Schwebezustand zu befinden. Worum es Hänsel geht, sind die Verwüstungen im Inneren der Personen, der Verlust der Unschuld, vor allem bei dem melancholischen Moriaty. Der erinnert sich einer Situation aus seiner Kindheit, als er beim Gang durch einen eiskalten Fluss für einen Moment »das Vertrauen in mich selbst verloren hatte«. Marion Hänsel bebildert dieses Schlüsselereignis zu Beginn und lässt Moriaty diese ihn tief verstörende Episode noch zweimal erzählen, so dass sie wie eine dramaturgische Klammer wirkt. Moriaty hatte zur Erinnerung daran seinerzeit eine Blechdose unter einem Baum vergraben, darin auf einem Blatt der Satz: »Der, der es gewagt hat, den Fluss zu durchqueren, verdient ein gutes Leben! « Doch das Leben straft den Satz Lügen. Obwohl Moriaty seinerzeit den Selbstzweifel überwunden hatte, ist die Idee eines guten Lebens nach dem Erlebnis auf Mururoa für ihn gescheitert. Seine eigene drohende Verrohung, mit der er sich dem machohaften Verhalten der übrigen Mannschaft gemein macht, zeigt sich, wenn er den dritten Rekruten, den gehänselten und heimwehkranken Da Maggio (Romain David), ohnmächtig in der Sonne liegen lässt und elend quietschende Krebse im Lagerfeuer verbrennt. Aber auch die Natur hat ihre Unschuld verloren. Die Südseeidylle ist eine Illusion, die Fotos, die der naive Da Maggio von dem verstrahlten Paradies macht, sind, wie Moriaty ihm entgegenbrüllt, eine Lüge.

Marion Hänsel erzählt diese Geschichte in langen, sorgsam komponierten Einstellungen, oft nur auf den stummen Gesichtern ihrer Protagonisten verharrend, und unterstreicht damit das Geheimnisvolle des Beziehungsgeflechts ihrer Figuren. Doch wenn die Regisseurin am Ende ihren Protagonisten Massina in einem Voice-over aus der Gegenwart über die Geschehnisse sinnieren und ihn bekennen lässt, dass er den verzweifelten Moriaty damals gerne in den Arm genommen hätte, zerstört sie in einem einzigen Augenblick der Eindeutigkeit vieles von der rätselhaften Schönheit ihres Films.

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