Kritik zu Notre Dame – Die Liebe ist eine Baustelle

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Wenige Monate vor dem Brand gedreht wurde diese versponnene Komödie, in der die Kathedrale zum Katalysator der beruflichen und privaten Krise einer Architektin wird

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Die Schauspielerin Valérie Donzelli ist auch eine Regisseurin mit ureigener Handschrift. In Deutschland lief bisher nur ihr autobiografisch gefärbtes Drama »Das Leben gehört uns« (2011), in dem ein junges Paar mit der Krebsdia­gnose seines kleinen Kindes fertigwerden muss und alles tut, um sich von dieser Hiobsbotschaft nicht unterkriegen zu lassen. Der Film, eine hochemotionale Ode an das Leben, wurde für vier Césars nominiert. Auch Donzellis neuer Film ist ein von magischem Realismus geprägter Egotrip, dessen reuelos irrationaler Zickzackkurs abwechselnd erfrischend und enervierend wirkt. Sie spielt die Architektin Maud ­Crayon(!), die sich zwischen mehreren Baustellen verausgabt. Privat sorgt sie sich um die beiden Kinder und ihren Ex-Mann, einen Musiker mit Dackelblick und Hang zum Nudismus, der ab und zu bei ihr aufschlägt und Zuflucht in ihrem Bett sucht. An ihrer Arbeitsstelle wird sie von ihrem Chef getriezt und mit Kündigung bedroht, wo sie doch ohnehin pleite ist. Dann landet auf märchenhafte Weise ihr Modell eines Spielplatzes beim heißesten Architekturwettbewerb in Paris – es geht um die Neugestaltung des Vorplatzes der Kathedrale Notre Dame. Mit dem Gewinn des Wettbewerbs scheint Maud sich aus der Sackgasse zu befreien – wären da nicht eine ungeplante weitere Schwangerschaft und das Auftauchen einer Jugendliebe. 

Mauds Odyssee steckt voller witzig angeschrägter aktueller Themen. Es geht um den Mehrfrontenkrieg alleinerziehender Mütter, die Beruf, Kinder und kindische Liebhaber managen müssen, den wichtigtuerischen Kulturbetrieb in Person der Bürgermeisterin, die der real existierenden Anne Hidalgo nachempfunden ist; den durch alarmistische Medien hervorgerufenen Dauerstress und die allgegenwärtige Terrorangst und Straßengewalt. Hysterie liegt in der Luft. Herrlich satirisch ist der Blick auf moderne Kunst und ihre Verächter, wobei Donzelli, die ehemalige Architekturstudentin, ihre eigene Haltung zu umstrittenen Kunstwerken, die Kulturdenkmäler aufmotzen sollen, in der Schwebe lässt. 

Die burlesk freidrehende Handlung wird befeuert von Nouvelle-Vague-Stilmitteln: Offkommentaren à la Truffaut, Tanz- und Gesangszenen à la Jacques ­Demy. Die am Rande des Nervenzusammenbruchs schwebende Antiheldin besitzt einen Hauch von »Amélie«, leider ohne deren mädchenhaften Charme, denn Mauds Unbedarftheit und Impulsivität sind eher verstörend als rührend. Das unterschwellige psychologische Muster dieser Komödie ist die Studie einer Frau, die Angst hat, eine Architektin ihrer selbst zu werden, der alles »irgendwie« zustößt, die sich überfahren lässt, nicht Nein sagen kann und sich mit Notlügen in die Bredouille bringt. Zugleich dient Mauds Selbstsabotage als probates Instrument, um Codes zu brechen, Unberechenbarkeit in die Geschichte einzubringen. Mauds und Donzellis Welt ist mehr Spielplatz als Baustelle, ein Raum, in dem die Realität poetische Metamorphosen durchläuft und hie und da Absurditäten im Getriebe aufblitzen.

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