Kritik zu Niemand ist bei den Kälbern

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Sabrina Sarabi verfilmt Alina Herbings Debütroman von 2017, in dem die Provinz nicht unbedingt jener gemütliche Ort ist, von dem die Städter träumen. Saskia Rosendahl, die dieses Jahr schon in »Fabian« überzeugte, spielt die Hauptrolle

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Außer dem Traktor, mit dem Jan über den Acker fährt, während Christin gelangweilt aus dem Fenster starrt, bewegt sich nicht viel in der mecklenburgischen Provinz. Im Hochsommer flirrt die Hitze, auf den Feldern verenden die Tiere, in den versprengt herumstehenden Häusern herrscht emotionale Ödnis, die Aufbruchsstimmung der Nachwendejahre ist längst verpufft. 

Hier lebt die 24-jährige Christin (Saskia Rosendahl) mit ihrem wortkargen Freund Jan (Rick Okon) bei dessen Eltern auf einem Milchviehhof und ist frustriert vom als banal empfundenen Leben auf dem Land. Tagtäglich dieselben kräftezehrenden Abläufe, umgeben von Fliegen und dem Muhen der Kühe. Die bäuerliche Arbeit macht sie nur widerwillig, statt die Kälber zu füttern, nuckelt sie lieber selber an einer stets griffbereiten Flasche mit süßer Plörre oder Hochprozentigem, als wäre es ihr Lebenselixier.

Von den Menschen in ihrem Umfeld ist wenig zu erwarten, der Schwiegervater duldet sie allenfalls und lässt sie seine Antipathie spüren, der eigene Vater ist längst dem Suff verfallen. Christin fühlt sich wie ein Alien in dieser Welt, träumt von der Stadt, einem freieren Dasein, hat aber nie gelernt, ihre Bedürfnisse auszudrücken. Selbst ihre stets etwas zu lasziven Klamotten sind, mit trotzigem Stolz getragen, ein stummer Schrei nach Aufmerksamkeit und ein bisschen Glanz, der den Viehmist überstrahlen soll. Nur hin und wieder spürt sie kurze Momente von so etwas wie Transgression, wenn sie mit ihrer besten Freundin Caro (Elisa Schlott) am Wochenende in die nächste Stadt in die Disko fährt. Doch die verschwindet irgendwann einfach, ohne ein Wort des Abschieds. Als dann Techniker Klaus (Godehard Giese) aus Hamburg ins Dorf kommt, um die zahlreichen Windkrafträder in der Gegend zu warten, bandelt Christin mit dem deutlich älteren Mann an und hofft mit ihm einen Ausweg aus der Provinzhölle zu haben. 

Die deutsch-iranische Regisseurin Sabrina Sarabi (»Prélude«) verfilmt mit »Niemand ist bei den Kälbern« den gleichnamigen Debütroman von Alina Herbing, der bei seinem Erscheinen 2017 kontrovers diskutiert wurde. Sie schildert darin unverblümt das selbsterlebte Ausgeliefertsein in einem Kaff in Nordwestmecklenburg und lieferte damit ein gnadenlos formuliertes Korrektiv zum eskapistischen »Landlust«-Trend gut situierter Großstädter. Sarabi inszeniert Herbings Geschichte als atmosphärisch dichten, sperrig-spröden Antiheimatfilm mit einem präzisen Blick auf patriarchale Verkrustungen und zwischenmenschliche Erstarrung sowie einer faszinierend widersprüchlichen Protagonistin. Hauptdarstellerin Saskia Rosendahl (»Lore«, »Fabian«), die bei der Weltpremiere des Films in Locarno als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde, verkörpert diese Christin als in der Leere gefangenes Tier mit einer stoisch-brütenden Wut, die nie richtig ausbricht. Am Ende ist Christin wieder unterwegs in einem Fahrzeug. Weit ist sie nicht gekommen, aber zumindest sitzt sie jetzt am Steuer, statt nur mitzufahren.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ein exzellenter Film, der die männliche Gewalt und die nach wie vor patriarchalischen Strukturen zeigt.

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