Kritik zu Million Dollar Baby

© Warner Bros. Pictures

Meisterlich: Clint Eastwoods Film um eine Boxerin und ihren Trainer

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Ungefähr alle zwei Jahre schüttelt Clint Eastwood scheinbar lässig, ohne besonderes Aufhebens und ohne etwas beweisen zu müssen, einen großen Film aus dem Ärmel. Der Mann wird bald 75 Jahre alt, und er macht ganz selbstverständlich einen Film wie »Million Dollar Baby« als Regisseur, Produzent, Komponist und Hauptdarsteller. Vielleicht ist Eastwood eine Ausnahmeerscheinung – der letzte Vertreter eines traditionellen amerikanischen Kinos, in dem Routine und Genius, Disziplin und Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind.

Beinahe möchte man glauben, dass die Figur des Box-Trainers Frankie Dunn, die Eastwood in »Million Dollar Baby« spielt, in mancher Hinsicht den Filmemacher Eastwood reflektiert. Denn dieser Frankie ist einer, bei dem Job und Leben zusammengehen, der es nicht auf den schnellen Erfolg abgesehen hat, aber immer noch da ist und Potenzial hat.

Gleich am Anfang seines neuen Films nach einer Geschichte von F.X. Toole deutet Eastwood an, dass es ihm vor allem um Schmerzen und Wunden geht, körperliche wie seelische, sichtbare wie unsichtbare. Die Kamera fährt förmlich in den cut, die aufgerissene Wange eines Boxers aus Frankies Stall, hinein. Kaum vernarbte Wunden sind überall spürbar in Frankies Box-Studio »Hit Pit« in einer Backstreet in Downtown Los Angeles. Da ist Frankies alter Kumpel Scrap, ein ehemaliger Boxer, der im Studio jobbt und haust. Bei seinem letzten aktiven Kampf ist Scrap auf einem Auge erblindet. Dann sind da die Gestrandeten wie der jungen Danger, der in Frankies Studio einfach nur trainiert, um nicht verloren zu gehen. Und dann ist da natürlich Frankie selbst, ein alter Mann, in dem immer noch das Feuer lodert. Als ob es von einem Schmerz genährt würde. Von dem Schmerz darüber, dass ihn vor über 20 Jahren seine Tochter verlassen hat, aus Gründen, die nicht genannt werden. Jede Woche schreibt er dieser Tochter einen Brief, der ungeöffnet zurückkommt mit dem Vermerk »Return to sender«. Täglich wechselt der irisch-katholisch erzogene Frankie aus dem Studio, jener verstaubten Kathedrale eines barbarischen, heidnischen Kampfsports, in eine Kirche hinüber. Und nach jeder Messe nervt er den Priester mit komischen Glaubensfragen. Frankie, so sagt Eastwood, ist ein Mann auf der Suche nach Vergebung.

»Million Dollar Baby« ist amerikanisches Kino par excellence, ökonomisch und elegant erzählt, physisch spürbar. Diese Körperlichkeit und Sinnlichkeit bezieht sich aber nicht nur auf die packenden Boxkämpfe, die die ganze Poesie, aber auch die Brutalität und das Schmutzige des Sports vermitteln. Dies bezieht sich vor allem auf Gesichter und Schauplätze, auf Stimmen und Stimmungen. Die Stimme von Morgan Freeman, der als halb blinder Scrap den Film auch aus dem Off kommentiert, wie ein Teiresias des Boxrings, wird man nicht mehr vergessen. Und für die Art, wie Eastwood die Straße vor dem gym filmt, in der man Hoffnung und Melancholie einzuatmen glaubt, allein dafür würde ich so manche computergenerierte Großprodukte herschenken. Irgendwann einmal heißt es, Frankie befände sich zwischen nowhere und goodbye – welch schöner Ausdruck für die undefinierbare, schmerzliche Atmosphäre des Films.

»Million Dollar Baby« ist wie fast alle Eastwood-Filme natürlich auch ein Americana, ein Heimatfilm der zwielichtigen amerikanischen Subkultur des Boxens. Als gelebte, virtuose und oft selbstzerstörerische Kunstform ist sie dem Jazz verwandt, den Eastwood so liebt. Zentraler heimatlicher und heimeliger Ort ist das Studio, das Henry Bumstead, der schon für Hitchcocks »Vertigo« die Szenografie machte, großartig entworfen hat. Dieses Studio ist fast luxuriös in seiner Größe und Weitläufigkeit, aber ziemlich altmodisch und armselig in seiner Ausstattung, ein Studio out of time.

Maggie, die dort eines Tages auftaucht, scheint sich in der Weite der Halle zu verlieren. Diese Maggie, gespielt von Hilary Swank, stammt aus dem poor white trash des amerikanischen Südens. In L.A. verdingt sie sich als Kellnerin; ihr Wille, sich als Boxerin durchzusetzen, einfach nur etwas zu werden, ist enorm. Dazu hat sie eine natürliche Begabung, die Frankie sofort erkannt hat. Doch der Traditionalist will die Frau nicht trainieren, natürlich auch aus Angst, diese Beziehung könnte alte Wunden bezüglich seiner Tochter aufreißen. Auf Vermittlung des weisen Scrap kommt es aber doch zu einer Zusammenarbeit. Manchmal muss man gerade Traditionen über Bord werfen, um den Geist, die Seele zu bewahren. Da ist Eastwood ein radikaler Konservativer wie John Ford. Es ist dann komisch und berührend, wie mit Frankie, Scrap und Maggie langsam eine der schönsten Ersatzfamilien der letzten Kinojahre entsteht. Geleitet von Frankie und seinem profunden Wissen über das Boxen und das Fighten im Allgemeinen, gelingt Maggie eine erstaunliche Karriere als toughe Kämpferin, die sie bis zu einem Weltmeisterschaftskampf führt. Die Schattenseiten von Maggies Aufstieg, vom Ersatzvater Frankie genau wahrgenommen, deuten sich an, als Maggie mit ihrer schrecklichen leiblichen Familie nicht einmal mehr kommunizieren kann. Das hat fast Untertöne eines Melodrams von Sirk.

Beim WM-Kampf in Las Vegas tritt Maggie gegen eine fiese, mit allen Wassern gewaschene Kampfmaschine an. Doch Maggie kämpft gut, sie hat alle Chancen, den bösen Fight zu gewinnen. Bis plötzlich die Lichter ausgehen und Frankie wieder einen Fehler gemacht zu haben scheint wie vor über 20 Jahren.

Auf dem Höhepunkt beginnt ein ganz anderer Film, dessen Handlung hier nicht verraten werden soll. Dieser andere Film scheint das bisher Gesehene auf den Kopf zu stellen, doch er ist von Beginn an versteckt vorhanden gewesen in den Blicken, Ängsten, Andeutungen, selbst in den komischen Momenten. »Tough ain't enough«, hat Frankie einmal zu Maggie gesagt, als er sie als Schützling ablehnen wollte. »Tough ain't enough« – dieser Spruch wird in all seinen Facetten am Ende wahr geworden sein. Vielleicht, so Eastwood in seinem wunderbaren Film, gibt es nur Momente des Glücks, den Traum davon und die Erinnerung daran, irgendwo zwischen nowhere und goodbye. 

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