Kritik zu Mia madre

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In seinem neuen Film erzählt Nanni Moretti von einer Filmemacherin, deren Mutter im Sterben liegt. Wieder lässt er dabei die eigene, tatsächliche Erfahrung einfließen und reflektiert so die Enttäuschungen und Ängste einer ganzen Generation in Italien

Bewertung: 4
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3
3 (Stimmen: 2)

Die Szene ist vorbereitet. Alle haben sie ihre Anweisungen. Margherita müsste nur noch »Action!« sagen. Doch es kommt ihr einfach nicht über die Lippen. Sie ist mit den Gedanken nicht bei der Sache. In ihrem Kopf kreist alles um ihre Mutter Ada, die im Krankenhaus liegt und nicht mehr lange zu leben hat. Wie erstarrt steht die Regisseurin zwischen Crew und Schauspielern. Irgendwann hält Barry Huggins, der aus Hollywood angereiste Star des Films, es nicht mehr aus. Er weiß zwar auch nicht, was gerade passiert, aber Marghe­ritas Schmerz und ihre Einsamkeit in diesem Moment sprechen zu ihm. Also tritt er zu ihr hin und streicht ihr sanft über die Wange. Eine Geste, die überrascht. Schließlich fiel Barry bis dahin vor allem durch sein egozentrisches Benehmen auf.

Aber diese Geste bleibt. Wahrscheinlich weiß es der überdrehte, von John Turturro ganz nah an der Grenze zur Karikatur gespielte Barry nicht einmal selbst. Aber genau in dem Moment, in dem er ganz intuitiv seiner Regisseurin ein klein wenig Trost spendet, ist er in der Wirklichkeit angekommen. Er, der sich immer wieder darüber aufregt, dass alles in seinem Leben nur Spiel ist, wird einmal voller Inbrunst ausrufen: »Take me back to reality!« Nur, was ist schon die Realität? Auf jeden Fall nicht unbedingt das, was wir Tag für Tag um uns herum mit den Augen wahrnehmen. Der eigentliche Kern des Lebens, so wie es Nanni Moretti versteht, offenbart sich eher in dem, was nicht fassbar ist, was die Menschen vielleicht nur erahnen und was sie doch mehr als alles andere verbindet.

Vordergründig greift Nanni Moretti in »Mia madre« eigene Erlebnisse und Erfahrungen auf. Während der Dreharbeiten zu »Habemus Papam«, seinem letzten Spielfilm, ist seine Mutter verstorben. Hier ist es nun die von Margherita Buy verkörperte Margherita, die eigentlich viel lieber bei Ada als am Set wäre. »Mia madre« kreist jedoch nicht nur um den Abschied von der Mutter. Auf eine ganz und gar unaufgeregte Weise erzählt Moretti hier vom Ende aller großen Träume und Hoffnungen seiner Generation. Marghe­rita und ihr Bruder Giovanni, den Moretti selbst spielt, geraten privat und beruflich in die Krise. Weder die Familie noch der Job können ihnen Halt und Kraft geben. Der Tod ist allgegenwärtig, im Sterben der Mutter und in Margheritas Scheitern als Filmemacherin. Sie dreht zwar immer noch diese Geschichten von kämpferischen Arbeitern und zynischen Fabrikanten. Doch sie glaubt nicht mehr daran, die Welt mit ihren Filmen verändern zu können.

Selbst die große Straßenschlacht zwischen protestierenden Arbeitern und der Polizei will Margherita nur noch aus sicherer Entfernung filmen. Und so rügt sie einen der Kameramänner, der in ihren Augen viel zu nah an das Geschehen herangegangen ist. Ihren Schauspielern sagt sie immer wieder, sie sollen sichtbar bleiben und keinesfalls ganz in ihrer Rolle aufgehen. Was einmal eine Brecht'sche Idee war, die aber die Schauspieler sichtlich nicht wirklich verstehen, wird zur ultimativen Unverbindlichkeit. Solange zu erkennen ist, dass alles Spiel ist, muss niemand etwas befürchten.

Auch Nanni Moretti glaubt an die Gleichzeitigkeit von Illusion und Wirklichkeit. Aber bei ihm zielt tatsächlich jeder Schnitt und jede Einstellung auf dieses schmale Reich dazwischen, diesen Grenzbereich, der dem Filmemacher wie dem Betrachter ständig zu entgleiten scheint. Was in Margheritas Kino nur noch eine Formel ist, ein Satz, der gut und geheimnisvoll klingt, ist die Essenz von Morettis Kunst. In der Unschärfe liegt die eigentliche Wahrheit des Lebens verborgen, und die geht weit über Brechts V-Effekt hinaus. Die Verfremdung, das stete Verwischen von Realität und Traum, ermöglicht eine neue Sicht auf das eigene Leben wie auf das der anderen. Sie gibt Barrys Geste ihr Gewicht und beugt zudem der Erstarrung vor, in die müde und ratlos gewordene Idealisten wie Margherita so leicht verfallen können.

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