Kritik zu Mediterranean Fever

© Neue Visionen Filmverleih

Mit einem sanft-ironischen Blick erforscht die palästinensische Filmemacherin Maha Haj männliche Befindlichkeiten im modernen Israel

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»Mittelmeerfieber«, diagnostiziert die russische Vertretungsärztin bei dem Jungen. Die Symptome sind diffus (Bauchschmerzen immer dienstags vor der Geografiestunde), nur die Herkunft scheint klar: genetisch bedingt und von der Religion abhängig, wie der Fragebogen für die anstehende Laboruntersuchung suggeriert – und dessen Beantwortung Vater Waleed prompt ablehnt. Danach ist eine weitere Bearbeitung des Bogens nicht mehr möglich. Das Prozedere steckt fest, so wie das Leben von Waleed (Amer Hlehel) feststeckt, dem Familienvater, der seinen Bankjob gekündigt hat, um Schriftsteller zu sein, nun aber an Schreibblockaden, fehlender Inspiration und womöglich einer Depression leidet, deren medizinische Behandlung er aber verweigert. 

Dann tritt Nachbar Jalal (Ashraf Farah) in Waleeds Leben. Zunächst nervt der laustarke Mann mit seiner aufdringlichen Freundlichkeit den stillen Schriftsteller mächtig. Doch so unterschiedlich die beiden Männer auf den ersten Blick wirken, so viel haben sie doch gemeinsam. 

Als schwarze Komödie preist der Verleih den Film an, doch ist er vielmehr eine Mischung aus Drama und Komödie, ein ironischer Blick auf männliche Befindlichkeiten im modernen Israel und ein Kommentar auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in dem von Anfeindungen und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägten Land. Die palästinensische Filmemacherin Maha Haj, die schon 2016 mit ihrem Spielfilmdebüt »Personal Affairs« in der Reihe Un Certain Regard in Cannes eingeladen war, findet eine leicht ironische Sprache, um eine ungewöhnliche und doch universelle Geschichte aus der Gegenwart zu erzählen, und ist dabei eine sehr genaue Beobachterin.

Sie zeichnet zwei scheinbar diametral entgegengesetzte Charaktere: Waleed, leicht untersetzt, stets in sich zusammengesunken und in seiner Penetranz, seiner schlechtgelaunten Wehleidigkeit ein nerviger Mensch, der sein Leben aufgegeben zu haben scheint, trotz seiner Frau Ola (Anat Hadid), die verständnisvoll agiert und als Krankenschwester die Familie ernährt. Und da ist der virile Jalal, der jedes Problem zu bewältigen weiß, hilfsbereit und freundlich ist, selbstbewusst das Leben gestaltet – als Aushilfshandwerker und Kleinkrimineller, der auch nicht vor Gewalt zurückscheut, sich eine Geliebte hält, mit seinen Kumpels auf Jagdausflüge geht. »Wir leben beide auf Kosten unserer Frauen«, sagt Jamal beim ersten gemeinsamen Kaffee mit Waleed. Es ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden Männer. Sanft baut Haj diese Geschichte auf, vermeidet allzu düstere Seiten der Depression, ohne diese zu verharmlosen, lässt Jalal immer tiefer in seine Gaunereien versinken, denen er kaum zu entkommen vermag. Beide sind sie gefangen in ihren Lebenssituationen – bis zu einem unerwarteten, verstörenden Ausgang. »Mediterranean Fever« mag kein Film für ein Massenpublikum sein, der melancholische, kluge und zugleich wohlwollende Blick, den Haj auf ihre Protagonisten und ihre Heimat wirft, hat dennoch ein großes Publikum verdient.

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