Kritik zu John Irving und wie er die Welt sieht

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2012
Original-Titel: 
John Irving
Filmstart in Deutschland: 
01.03.2012
V: 
L: 
90 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Ein König in seinem eigenen Reich: André Schäfer porträtiert den Erfolgsautor John Irving auf informative und einfühlsame Weise

Bewertung: 3
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Es ist ein altes, ungelöstes Problem. Filme über Literatur zu machen, ist denkbar schwierig. Will man nicht in die Szenen der Romane einsteigen und nachinszenieren, bleibt es beim frei assoziierten Bild zum literarischen Text und dem Interview. André Schäfer findet schöne, unspektakuläre Bilder für jene Szenen, in denen Auszüge aus Irvings Romanen gelesen werden. Das Zentrum des Films jedoch bildet ein großes Werkstattgespräch mit John Irving, der wie ein selbst ernannter König inmitten seiner Welt hockt und erzählt, wie sein Erzählen in die Bücher kam.

Hatte Irvings früher Held Garp, der ihm Ruhm, Glanz und Glorie brachte, schon selbstbewusst behauptet, er erzähle, ohne sich um die Form zu kümmern, und das nicht obwohl, sondern weil er James Joyce gelesen habe, so ist das heute noch genauso. »Ich bin ein Handwerker «, sagt Irving, »kein Theoretiker, ein Geschichtenerzähler und kein Intellektueller.«

Und dann erzählt er ganz unintellektuell und uneitel aus einem immens erfolgreichen Schriftstellerleben. Er zeigt uns, wie er den Stift hält, welchen er am liebsten benutzt, dass er noch immer orthografische Probleme hat und deshalb immer ein Wörterbuch bereithält. Er schaut verschmitzt in die Kamera, mit frechen strahlenden Augen, und es scheint, dass er sich nach all den Jahren selbst noch darüber wundert, wie erfolgreich er ist. André Schäfer hört zu und folgt dann den Gedanken Irvings mit der Kamera. Er lotet die beiden Säulen der Biografie aus, das Ringen auf der einen Seite, das Irving über viele Jahre auf Turnierniveau ausübte, und die Stadt Wien, in der Irving eine Zeit lang lebte und die ebenso oft wie das Ringen Teil seiner Geschichten ist. Und er folgt Irving zu den Orten seiner Recherche. Für jeden Roman macht Irving Feldforschung. Er besucht Organisten, Prostituierte, Apotheker, Ärzte, Jongleure und Polizisten, damit seine Bücher stimmen. Es geht dabei nicht um Wirklichkeit, sondern um Wahrheit, und das ist ein großer Unterschied. Wie kann eine Frau beim Sex einfach sterben? Ist es möglich zu verbluten, wenn einem die Hand abgetrennt wird? Das sind die Fragen, die er seinem Hausarzt stellte. Und ein einfacher Tätowierer in Holland gibt zu, dass er Irvings Roman »Witwe für ein Jahr« allein deshalb nicht lesen kann, weil so viele seiner Freunde drin vorkommen, doch die Eigenschaften der Menschen seien willkürlich auf die Figuren verteilt, und so käme er immer durcheinander. Es geht eben um literarische Wahrheit.

Diese sympathischen kleinen Gespräche schneidet Schäfer in das Interview und dokumentiert so eine Recherche, die er selbst auf den Spuren Irvings unternommen hat. Und dann kommen natürlich die Romane zu Wort, »Letzte Nacht in Twisted River«, »Bis ich dich finde« oder »Garp und wie er die Welt sah«. Schöne Zitate zu schönen Bildern. Nach knapp 90 Minuten weiß man alles, was man über John Irving wissen möchte, und doch hinterlässt der Film eine unbestimmte Leere. Alles passt so bruchlos zusammen, dass für Neugier kein Platz mehr bleibt. Man sehnt sich nach Haken, Widersprüchen, nach etwas Dreckigem, etwas das bewegt, jenseits der glücklichen Ehe und der Insel, die der Großvater seiner Frau Janet im Pokern gewann. So ist John IrIving und wie er die Welt sieht ein geglückter Fernsehfilm. Nicht weniger, aber leider auch nicht mehr.

 

 

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