Kritik zu Heli

© Temperclayfilm

Der Drogenkrieg in Mexiko fordert vermehrt unschuldige Opfer. Amat Escalante schildert in seinem Film die grausame Eskalation der Gewalt mit kalter, ästhetischer Präzision

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Am Ende stehen die Fenster des Zimmers weit offen und lassen – erstmals – Luft und Licht herein. Es scheint wie ein kleiner Lichtblick am Ende einer grausamen Geschichte. Doch lange wird die Hoffnung nicht tragen. Zu viel Schlimmes ist geschehen in den letzten 105 Filmminuten, die nächste, wohl finale Strafaktion steht schon im Raum. So kann man den Ausblick durch die wehenden Vorhänge in die weite Landschaft nur als symbolisch spirituelle Überhöhung des Unvermeidlichen verstehen. Das Umfeld aber ist höchst real.

Präsent sind derzeit die Meldungen über Kinder und Jugendliche, die aus Mittelamerika nach Norden fliehen. Grund ist neben der Armut die Gewalt in ihren Heimatländern, die immer öfter auch Unbeteiligte trifft. Wie den jungen Heli aus dem ländlichen Zentralmexiko, der mit seinem Vater, einer kleinen Schwester, einer frisch angetrauten Ehefrau und einem Baby in einem abgelegenen Haus lebt und – wie der Vater auch – täglich zur Nachtschicht in eine Autofabrik radelt. Derweil bandelt die noch sehr kindlich erscheinende kleine Schwester Estela mit einem Rekruten der in der Nähe stationierten Spezialpolizeitruppe an.

Eine bescheidene Normalität, die abrupt endet, als Estelas Liebhaber einen Beutel des von seiner Truppe konfizierten Kokains klaut und im Haus versteckt. Bald sieht sich die Familie damit in den Fokus der in den Drogenhandel verwickelten Soldateska gerückt. Helis Vater wird erschossen, die jungen Männer und Estela verschleppt. Es folgen grausame Prügelstrafen in einem Folterhaus, in dessen Nachbarschaft Kinder scheinbar ungerührt ihre Videokonsolen bedienen. Dass Heli die Attacken am Ende überlebt, scheint dabei weniger der Logik der Ereignisse als der Erzählökonomie geschuldet.

Regisseur Amat Escalante präsentiert das mörderische Geschehen in lakonischem Ton und kalter Chronologie. Die meist langen Einstellungen sind visuell und akustisch präzise durchgestaltet: Eine Kombination aus direktem Blick und stilistischer Eleganz, die an die Arbeiten von Carlos Reygadas erinnert, bei dessen Batalla en el cielo Escalante assistierte. Schönheit und Gewalt liegen dabei manchmal nah beisammen, oft geht es aber auch nur unerträglich brutal zu wie bei den fast in Echtzeit inszenierten Folterszenen. Eine Brutalität, die durch die Realität der Weltläufte gerechtfertigt wird. Dennoch kann man Escalante in einigen Momenten inszenatorische Eitelkeit vorwerfen, wenn er etwa als (so unnötigen wie spektakulären) Wow-Effekt Schamhaar und Penis einer der Männer in Flammen setzt.

Festivalkomitees und Jurys honorieren gerne die Ballung von sozialer Relevanz, formaler Geschlossenheit und visueller Drastik. Der 1979 in Barcelona geborene und im zentralmexikanischen Guanajuato lebende Escalante hat bereits mit seinen Filmen Sangre (2005) und Los Bastardos (2008) auf Festivals weltweit reüssiert. Heli erhielt in Cannes, Montréal, Lima, Havanna und München Preise und wurde dieses Jahr als mexikanischer Anwärter für den Auslands­oscar nominiert.

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