Kritik zu Emergency Declaration

© Leonine Distribution

Der südkoreanische Film häuft Katastrophenmotive: Terror, Infektion, Flugzeug außer Kontrolle. Und findet dann doch einen ganz eigenen Weg nach Hause 

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»Just when you thought it was safe to go back into the water«… kam der Weiße Hai zurück. Die Werbezeile von »Jaws 2« hat als Meme Karriere gemacht. Passt ja auch wirklich oft. Zum Beispiel hier: Gerade hat der Bundesrat die Maskenpflicht in Flugzeugen abgeschafft – da zeigt dieser südkoreanische Film, was ein luftreisendes Virus in engen Räumen anrichten kann. SARS-CoV-2 hatte das Team von »Emergency Declaration« allerdings noch nicht auf dem Schirm, als die Dreharbeiten begannen. Der Erreger, den ein jugendlicher Terrorist auf einem ausgebuchten Flug von Seoul nach Honolulu freisetzt, funktioniert eher wie Ebola: Er löst ein hämorrhagisches Fieber aus, mit Pusteln und fotogenen Blut-Eruptionen.

Mit der Infektion, die sich flott in der Maschine ausbreitet (altes Modell, geschlossener Klima-Kreislauf), reaktiviert »Emergency Declaration« die in den 50ern etablierte Urszene des Flugzeug-Katastrophenfilms. Das Personal erkrankt, der Pilot fällt aus, am Boden wird hektisch disponiert. So weit, so vorhersehbar? Charmant ist tatsächlich das Tempo, mit dem Regisseur und Autor Han Jae-rim Genremotive – »Die Hard 2« wird »Airforce One« wird  »Outbreak« wird »Snakes on a Plane« – aufruft und wieder verabschiedet, Handlungsstränge ins Leere laufen lässt und Kalamitäten häuft. Der Terrorist geht früh ab, obwohl er von einem K-Pop-Star gespielt wird (Yim Si-wan); in der Maschine müssen Erkrankte isoliert, Renitente beruhigt werden, kämpft ein traumatisierter Ex-Pilot um seine Tochter; unten enthüllt ein Polizist, dessen Frau an Bord ist, auf der Suche nach dem Ursprung des Virus einen Biochemie-Skandal. Und wo zum Teufel soll die Kiste mit den hochansteckenden Leuten, Vorboten einer Höllenpandemie, bloß landen? 

Das alles ist gefilmt in einem durchaus genreuntypischen, nervösen Cinema-Verité-Stil, der sich vor allem in den Szenen auszahlt, die in der Kabine spielen: beängstigend eine Sturzflug-Sequenz, in der die Passagiere durch den engen Raum taumeln, Hals über Kopf. Zur Erdung des luftigen Drehbuchs, das vor allem im »Wissenschaftlichen« Mut zur Lücke zeigt, trägt auch das erprobte Ensemble bei: Schauspieler wie Lee Byung-hun (»Joint Security Area«, »Squid Game«) und Song Kang-ho (»Parasite«) geben dem Desastermovie den emotionalen Nachdruck eines K-Dramas mit.

Schließlich wartet »Emergency Declaration«, in Korea ein Box-Office-Hit, mit einer überraschenden politischen Volte auf. Schon fast in Hawaii, das Kerosin geht zur Neige, wird das Flugzeug mit den Infizierten von der US-Flugaufsicht abgewiesen, Japan schickt gar Abfangjäger – und die Republik Korea muss die Sache mit sich ausmachen, was sie auf ethisch vorbildliche Weise tut. Deutet sich da ein Bruch an in der pazifischen Allianz? In diesem Jahr hat man von Massenprotesten in Seoul gelesen, die sich gegen die Außenpolitik der neuen Regierung richteten, ein Ende der gemeinsamen Militärübungen mit den USA und Entspannung der Beziehungen zu Pjöngjang und Peking forderten. »Emergency Declaration« als Stimmungsbarometer zu interpretieren, ist ein bisschen gewagt, so von Europa aus. Aber es sind nicht die schlechtesten Katastrophenfilme, die steile Thesen provozieren. Googlen Sie mal Fantheorien zum »Weißen Hai«.

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