Kritik zu Electric Child
Der Schweizer Regisseur Simon Jaquemet verbindet Familiendrama mit Science-Fiction zu einem ambitionierten Film über die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und KI
Mit seinem neugeborenen Sohn Tōru blickt Sonny (Elliott Crosset Hove) über Zürich und sagt verliebt einen Satz, wie er passender nicht sein könnte: »Hello World«, wie bei dem berühmten »Hallo-Welt-Programm«, das die Aufgabe hat, eben diesen Satz auszugeben: eins der ersten Computerprogramme, mit dem Informatik-Newbies die Welt der Einsen und Nullen betreten.
Sonny ist kein Newbie, er gehört zu den führenden Informatikern der KI-Forschung und arbeitet in einem streng überwachten Hightechprojekt. Als Ärzte diagnostizieren, dass Tōru wegen eines Gendefekts das erste Lebensjahr nicht vollenden wird, klammert er sich an die statistischen 4,7 Prozent Überlebenschance und beginnt entgegen allen Grundsätzen des Projekts, seine KI mit den Daten des Sohnes zu füttern – in der Hoffnung, dass diese eine Heilungsmöglichkeit findet. Während er sich in einen Wahn hineinsteigert, klammert sich seine Freundin Akiko (Rila Fukushima) an die verbleibende Zeit mit Tōru.
»Electric Child« feierte seine Weltpremiere beim Filmfestival in Locarno 2024. Der Schweizer Regisseur Simon Jaquemet arbeitet sich darin an den Ängsten und Hoffnungen unserer Gegenwart ab. Beim Thema Künstliche Intelligenz ist gegenwärtig ja von himmelhochjauchzendem Technikorgasmus à la »größte Erfindung seit dem Buchdruck« bis zur Dystopie, dass KI den Menschen unterjochen wird, alles vertreten. Zwischen diesen beiden Polen lotet auch Jaquemets ambitioniertes Werk sein Terrain aus und verbindet dabei Familiendrama mit Science-Fiction.
Sonny lebt quasi in seiner Firma zwischen Computern, in einer gewaltigen Halle blinken in dunklen Kuben die Server, deren Kühlungsventilatoren je nach Zustand der KI eigene Sounds von sich geben. Wenn die KI stirbt, klingt es dort besonders wild. Und sterben ist wörtlich zu verstehen, denn der Film wechselt immer wieder in die Welt der KI, in der sich ein von Sandra Guldberg Kampp verkörpertes androgynes Wesen auf einer grün bewucherten Insel wie in einem Survival-Szenario behaupten muss – ein Kontrast zur kühlen Techwelt in der Realität. Die Metapher der Vermenschlichung der KI erscheint mit Blick auf die Frage, was den Menschen menschlich macht, konsequent. Thematisch knüpft der Film damit an Mamoru Oshiis Animeklassiker »Ghost in the Shell« oder Alex Garlands »Ex Machina« an.
Doch so verstörend und faszinierend die Welt auch ist, die Jaquemet zeichnet: Vollends überzeugt sein Film nicht. Er dreht ein paar Schleifen zu viel zwischen realer Welt und der Insel und kratzt an der Oberfläche seiner moralisch komplexen Themen. Zudem will der emotionale Zugang nicht recht gelingen, auch wegen unausgegorener Szenen wie jener, in der das Paar das Baby kurzzeitig einfach mal Fremden überlässt, um im Technoclub »Der Wald« zwischen Bäumen zu zappeln.
Konsequent ist der Film dennoch, denn am Ende wandelt sich das Verhältnis von KI und Mensch radikal: ein ambivalentes »Hello Word« der KI sozusagen, das nachhallt.
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