Kritik zu Drei Etagen

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Der erste Film Nanni Morettis, der nicht auf einem eigenen Originaldrehbuch beruht: er adaptiert den Roman »Über uns« von Eshkol Nevo und verlegt dessen erzählerisches Kaleidoskop geschickt von Israel nach Rom

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Das urbane Leben hat uns eine mulmige Nähe auferlegt: Nachbarn sind nie ganz da und nie ganz anderswo. Bestenfalls begegnen wir ihnen freundlich, schlimmstenfalls gilt es, ihre Anwesenheit zu erdulden. Das Übertreten der Schwellen ist mit Ängsten und Hoffnungen besetzt. »Drei Etagen« beginnt mit einer Katastrophe, gegen die die eigenen vier Wände keinen Schutz bieten, die vielleicht aber die Chance bietet, aufeinander zuzugehen.

Ein betrunkener Autofahrer verfehlt zwar die werdende Mutter Monica (Alba Rohrwacher), die des Nachts allein zur Entbindungsstation geht, überfährt jedoch eine Passantin, die kurz darauf stirbt. Der Wagen kracht in das Büro, das Lucio (Ricardo Scamarcio) sich im Erd­geschoss  eingerichtet hat. Sein Fahrer ist Andrea, der Sohn des Juristenpaares Dora (Margherita Buy) und Vittorio (Nanni Moretti), der zunächst keine Reue zeigt und hofft, die Eltern könnten ihn vor einer Haftstrafe bewahren. 

Wenige Tage nach dem Unfall verschwindet Lucios Tochter zusammen mit dem greisen, dementen Nachbarn, der sie beaufsichtigen sollte. Der Vater findet die zwei zwar bald im nahe gelegenen Park, ist fortan aber von dem Verdacht besessen, der alte Mann habe seine Tochter missbraucht.

Die Ereignisse spalten nicht nur die Hausgemeinschaft, sondern führen auch zu Zerwürfnissen innerhalb der einzelnen Familien. Monica, die unter der Abwesenheit ihres Mannes leidet, verfällt in eine postnatale Depression und weiß nicht mehr zwischen Realität und Traum zu unterscheiden. Der kompromisslose Richter Vittorio verstößt seinen Sohn und verlangt auch von Dora, den Kontakt mit ihm abzubrechen. Lucio schließlich setzt seine Ehe aufs Spiel, als er die blutjunge Enkelin des verdächtigten Nachbarn für seine Nachforschungen einspannt.

Moretti setzt diese Verwerfungen mit nüchterner Achtsamkeit in Szene; »Drei Etagen« bekräftigt die Verbürgerlichung seines Kinos, die vor zwei Jahrzehnten mit »Das Zimmer des Sohnes« einsetzte. Der Filmtitel besitzt neben der räumlichen Dimension einer gediegenen Übersichtlichkeit auch eine zeitliche Komponente: Die Handlung folgt einer Drei-Akt-Struktur, verlässt die Charaktere jeweils in einem Moment der Krise und kehrt nach einer Ellipse von fünf Jahren zu ihnen zurück. In dieser Dramaturgie geduldiger Vertiefung ändern sich die Verhältnisse, aber die Figuren nicht zwangsläufig mit ihnen. Ihre Suchbewegungen gehen weiter, münden aber erst spät in wirkliche Lernprozesse. 

Der Film zielt auf Aussöhnung, dafür muss er sich von seinem Schauplatz ablösen und befreien; aber zu einem belastbaren Optimismus mag er redlicherweise nicht finden. Dabei schält sich allmählich ein tiefes Unbehagen am Patriarchat heraus. Die Väter sind entweder nicht zu Vergebung fähig, abwesend (Monicas Mann immerhin lernt hinzu) oder verstricken sich in einen Argwohn, der alle Beziehungen vergiftet. Wie gut nur, dass in diesem Haus kluge Töchter heranwachsen.

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