Interview: Nanni Moretti über »Drei Etagen«

Nanni Moretti am Set von »Drei Etagen« (2021). © Happy Entertainment

Nanni Moretti am Set von »Drei Etagen« (2021). © Happy Entertainment

Eshkol Nevo, der Autor der Romanvorlage, hat sich als Fan Ihrer Filme geoutet. Kannten Sie schon seine früheren Romane?

Nein, ich kannte sein Werk noch nicht. Dies war das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe. Seitdem habe ich allerdings noch ein paar andere gelesen. Wir hatten uns nach fast zwei Jahren an einem anderen Projekt festgefahren, als mir eine der Drehbuchautorinnen den Rat gab, dieses Buch zu lesen. 

Wie schwierig war die Adaptation? Das Buch erzählt ja drei separate Geschichten für die Bewohner der einzelnen Etagen, während Sie diese zusammengefügt haben. Und wie war es zum anderen mit den Differenzen zwischen der israelischen und der italienischen Gesellschaft? Im Buch imaginiert der Vater der verschwundenen kleinen Tochter ja sofort, zur Waffe zu greifen und dem Alten einen Revolver an den Kopf zu setzen, wenn er ihn und seine Tochter findet...

Es war nicht schwer, die Geschichte von Israel nach Italien zu übertragen; was schwer war, war, aus den drei getrennten Erzählungen ein Drehbuch zu filtern, denn im Buch sind es ja eigentlich drei Monologe, entsprechend war es nicht leicht, da gleich eine Kinoerzählung vor Augen zu haben. Wir haben die drei Geschichten verlängert, wir haben ein Vorher und ein Nachher hinzugefügt und wir haben sie miteinander verknüpft, während sie im Buch getrennt bleiben. 

Ich hatte den Eindruck, dass der Ehemann, der durch seine Arbeit selten zu Hause ist und sich deshalb nicht um sein neugeborenes Kind kümmern kann, am Ende dazugelernt hat, während das für die anderen beiden Ehemänner und Väter sehr viel weniger zutrifft, vor allem für den von Ihnen selber verkörperten Richter. Ist das auch im Roman schon so oder ist das ein Statement von Ihrer Seite?

Nein, das haben wir verändert gegenüber dem Roman, denn wir wollten noch eine kleine Zukunftsperspektive öffnen und die Menschen nicht verschlossen in ihrem Schmerz zurücklassen. So wird sich ja auch die Witwe des Richters am Ende möglicherweise mit ihren Sohn wieder versöhnen.

War die Figur des Richters von vornherein so unbarmherzig angelegt oder gab es mal die Überlegung, ihm einige menschlichere Züge zu verleihen, vielleicht sogar eine Verknüpfung zu machen zu Figuren, die Sie in Ihren früheren Filmen verkörpert haben?

Nein, wir haben all diese Figuren schon von Anfang an so angelegt. Und um eine Perspektive für die Zukunft zu bieten, musste der Richter dann eines Tages beiseite treten. Wir haben ihn sterben lassen und – das ist auch ein Unterschied zum Buch – wir haben uns die Freiheit genommen, einen Bogen über zehn Jahre zu schlagen. Wenn Sie mich fragen, ob die Figur des Richters Ähnlichkeit mit mir hat, dann sehe ich mich doch irgendwie in die Enge getrieben. Ich habe versucht, für den Zuschauer die Gründe klar zu machen, die alle Figuren in diesem Film antreibt – auch die schwierigen. 

Ihre früheren Filme lebten sehr stark von dem Vexierspiel zwischen den von Ihnen selber verkörperten Figuren und Ihnen selber, dem Wechsel von Drama und Komödie, dem ironisch gebrochenen Blick auf die eigene Figur. Würden Sie sagen, dass in dieser Hinsicht der Film eine Zäsur markiert?

In diesen Geschichten gab es keinen Raum für Ironie. Manche Zuschauer haben sich enttäuscht davon gezeigt, aber was viel schlimmer gewesen wäre: wenn ich einen Film aus dieser Vorlage gemacht hätte, der versucht komisch zu sein – und keiner lacht. Das wäre wirklich tragisch gewesen. Ich denke, ich habe, so wie jeder andere, auch das Recht, einmal einen Film zu machen, der keine Ironie enthält. Das ist ein verfassungsmäßig verbrieftes Recht, das mir zusteht.

Der Film hat bei seiner Premiere im Rahmen des Filmfestivals von Cannes im vergangenen Jahr langandauernde standing ovations bekommen, aber – wie Sie selber eben schon andeuteten – vielen Kritikern gefiel offenbar nicht, dass Ihre Figur ohne die sonst vorhandene Selbstironie auskam. Sind Sie Sich da manchmal vorgekommen wie das alter ego von Woody Allen in dessen »Stardust Memories«, dem Filmregisseur, der von seinen Fans immer wieder gefragt wird, warum er denn keine lustigen Filme, so wie früher, mehr drehen würde?

Die Frage habe ich ja eigentlich schon beantwortet. Ich sehe es als mein Recht an, einmal einen anderen Film zu machen – ich habe keine Lust, immerfort den gleichen Film zu drehen.

Das heißt aber auch, dass möglicherweise eine Figur, die mehr mit Ihnen zu tun hat, in einem späteren Film durchaus wieder auftauchen kann?

Ja, eigentlich schon in meinem nächsten Werk, dessen Dreharbeiten schon im März beginnen sollen.

Was dürfen wir da erwarten? Ist es ein Film, der auf einem Originaldrehbuch von Ihnen basiert?

Ja, der Stoff stammt von mir, das Drehbuch ist in Zusammenarbeit mit drei Drehbuchautorinnen entstanden, es gibt darin um das Kino, den Zirkus und die fünfziger Jahre sind ebenfalls ein Thema.

Werden Menschen, die sie näher kennen, in der Figur des Richters einige Züge von Ihnen wiedererkennen oder in bestimmtem Momenten sagen, »ja, das hat etwas von Nanni Moretti« oder aber haben Sie diese Figur eher angelegt wie die Figuren, die Sie in den Filmen anderer Regisseure verkörpert haben?

Ja, man kann schon sagen, dass diese Figur des Richters auch Teile von mir selbst enthält. Seine Konsequenz und seine Integrität gehen dabei zu Lasten seiner Menschlichkeit. Das sind durchaus Charakterzüge, die ich manchmal auch bei mir sehe. 

Sie betreiben in Rom immer noch das Programmkino Sacher. Ich würde gerne wissen, wie ist es dem Kino während der Pandemie ergangen? 

Vor zwei Jahren hatten wir drei Monate geschlossen, im vergangen Jahr sechs Monate, von November bis April. Das Schwierigste war, dass das Kino nur über eine einzige Leinwand verfügt. Damit macht man in einer solchen Situation automatisch Verluste. Das Problem, das ich ebenfalls mit meinem Kino habe, ist, dass die meisten Filme, die ich zeige, für junges Publikum uninteressant sind, deswegen wächst auch keine neue Generation von Publikum heran. Es gibt aber manchmal auch positive Überraschungen, so habe ich vor einiger Zeit eine Reihe von Filmen in Originalversion gezeigt – da sind viele junge Leute gekommen. Jetzt gerade läuft eine Pasolini-Retrospektive aus Anlass eines hundertsten Geburtstags, auch da sind viele junge Leute gekommen. 

Ich weiß natürlich, dass die Krise der Kinos schon vor der Pandemie begonnen hat und dass sie sich durch die Pandemie weiter verstärkt hat. Aber ich arbeite weiter – ich schreibe meine Filme für die große Leinwand, ich drehe für die große Leinwand und meine Arbeit richtet sich nur daran aus.

Haben Sie auch noch Ihren eigenen Verleih?

Nein, den gibt es nicht mehr. Man kann einen Verleih nicht als fünftes Standbein betreiben – das muss eigentlich die erste sein, deswegen habe ich den Verleih geschlossen.

Gab es in den letzten Jahren auch deutsche Filme, die Sie in ihrem Kino gezeigt haben?

Ich glaube, in den letzten Jahren nicht, es kommen aber auch wenig deutsche Filme in Italien in den Verleih, stattdessen viele französische Komödien.

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