Kritik zu Dreaming Dogs
Kein simples »arm, aber glücklich«: Elsa Kremser und Levin Peter drehen in ihrer Beobachtung einer Wohnungslosen und ihres Hundes die Perspektive einmal um
Der Hund auf der Rückbank schaut aus dem Autofenster auf die bunten Lichter der vorüberziehenden nächtlichen Stadt; vorn fragt die Beifahrerin den Fahrer, wie lange die Reise wohl noch dauere – die Reise, die gar nicht stattfindet, denn das Auto ist ein Wrack. Die vorüberziehenden Straßenzüge verdanken sich einer Projektion, und die bunten Lichter entstammen einer billigen Party-Lichtmaschine. Trotzdem schön, findet der Hund, und träumt weiter.
Es war einmal . . . eine Babuschka, Nadja, und Dingo, ihr Hund. Sie lebten auf einer Industriebrache am Rande einer großen Stadt von der Hand in den Mund, und obwohl sie von der Welt vergessen waren, war ihr Dasein nicht elend, denn sie hatten einander.
Vor fünf Jahren stellte das Dokumentarfilmerduo Elsa Kremser und Levin Peter mit »Space Dogs« einen brillanten Essayfilm vor, der das Schicksal der Versuchshunde im russischen Raumfahrtprogramm der späten 1950er Jahre mit dem gegenwärtigen Alltag von Moskauer Straßenkötern kurzschloss, um auf diese Weise die Themen Verfügungsgewalt und kreatürliche Freiheit zu beleuchten. Während der Dreharbeiten zu diesem Film lernten Kremser und Peter die wohnungslose Nadja und ihren Streunerhund Dingo kennen. Zu ihnen und ihrem Lager im Schatten aufgelassener Fabriken kehrten sie 2020 zurück und begannen mit der Arbeit an »Dreaming Dogs«. Mit dem sie den Moskauer Hundekosmos um eine Erzählung über Heimat(losigkeit), (Un)Zugehörigkeit und die (Un)Möglichkeit von Trost erweitern.
Wieder ist die vorherrschende Perspektive die vom Vier- auf den Zweibeiner. Ermöglicht wird dies durch eine Kamera, die es mittels eines Stabilisierungssystems erlaubt, in Augenhöhe der Hunde zu drehen. Manchmal ist der Apparat so nah dran, dass der Eindruck entsteht, er sei ein weiterer Hund. Diese Umkehrung der Blickrichtung ermöglicht eine neue Lesbarkeit des Machtverhältnisses im von Kremser/Peter so benannten »Hund-Mensch-Gebilde«. Wer und wo wäre die durch die Maschen gefallene alte Nadja ohne »ihren« Dingo, der auch schon so einiges mitgemacht hat? Gemeinsam setzen sie der sozialen Kälte immerhin ihre Körperwärme im selben Raum entgegen. Doch der Zusammenhalt ist brüchig, und »Obdach« wird zum relativen Begriff. Wer träumt hier wen? Wovon träumt er? Wieder treten Projektionen zwischen die Lebewesen, verstellen den Blick auf Bedürfnisse und Absichten.
Wie schon in »Space Dogs« enthalten sich die Filmemacherinnen jedweder Romantisierung; »Dreaming Dogs« erzählt keine Geschichte über eine Gemeinschaft der Ausgestoßenen vom Kaliber »arm, aber glücklich«; die Gattungsgrenze, an der entlang Eigennutz, Neugier und Sympathie Spalier stehen, bleibt am Ende unüberwunden. Dem Publikum wird schmerzhaft bewusst, dass der Sinn, den es den Bildern stiftet, bloße Hypothese bleibt. Eben hier, in der Abwesenheit von Interpretation, kommt die Kreatur dann doch zu ihrem Recht.
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