Kritik zu Draußen bleiben

© Zorro Filmverleih

Unser kurzfristiges Leben: Alexander Riedels Dokumentation beobachtet Mädchen aus einem Münchner Asylbewerberheim

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Zwei Mädchen in einem Fahrstuhl, von denen eines die Frage aufwirft: »Was passiert, wenn ich die Notbremse drücke?« Im nächsten Augenblick ist die Notbremse gedrückt; noch ehe die pädagogisch wertvolle Antwort überhaupt gedacht, noch ehe der jugendliche Mut, auf den eine solche Frage zielt, überhaupt auf die Probe gestellt werden konnte. Dass die Reaktion auf den Reiz so rasch erfolgt, erzählt auch davon, was dazwischen alles fehlt: an Halt, an Ordnung und an Geschichte.

Die Vergangenheit ist fern, die Zukunft ungewiss und die Gegenwart sieht in »Draussen bleiben« so aus: Valentina und Suli, 16 und 17, die beiden Mädchen aus dem Fahrstuhl, sind Freundinnen aus einem der ewig gleich tristen Asylbewerberheime am Stadtrand von München. Kleine Zimmer, funktionale Küchen, in den Korridoren stehen Wäscheständer. »Ich kenn hier alle«, sagt Valentina und beginnt, die Bewohner ihrer Etage aufzuzählen: nach Ethnien geordnet. Sich zu kennen, heißt zu wissen, woher man kommt. Wie präsent die Herkunft unter denen ist, die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft durch Verbannung an die Peripherie auf Distanz gehalten werden, zeigt ein Fußballspiel von Valentina, Suli und ihren Freundinnen. Eine gemessen am rauen Umgangston der Teenager harmlose Bemerkung lässt eine dunkelhäutige Freundin sich diskriminiert fühlen, es kommt zum Eklat. »Einmal in der Woche gibt es Streit um Schwarz-Weiß«, sagt eines der Mädchen. »Dann schubs' ich, dann schubst sie, dann klatscht sie mir eine, dann klatsch' ich ihr eine, und dann kommt die Polizei und ich steh' wieder da«, beschreibt Valentina ein anderes Mal fast gelangweilt, wie solche Streite ausgehen können und warum sie am Ende des Films in den Jugendarrest muss. Mal wieder.

Während Suli und ihre Familie, die aus dem Nordwesten Chinas stammt, als Flüchtlinge anerkannt sind und mittlerweile in einer eigenen Wohnung leben, wird die Kosovarin Valentina gemeinsam mit ihrer geisterhaften Mutter und ihrem kleinen Bruder nur geduldet, der ältere Bruder ist bereits abgeschoben. »Aufenthalt«, erklärt Suli in naiv-philosophischem Fatalismus, »hat mit Glück zu tun, und die jetzt Pech haben, vielleicht haben die in ein paar Jahren Glück.« Bis es so weit sein könnte, besteht Valentinas Leben aus dreimonatigen Dosen, in denen die deutsche Asylpolitik »Duldung« verabreicht.

»Draussen bleiben« fügt sich in eine Reihe von unterhaltsamen Filmen, in denen unterprivilegierte Mädchen sich die Zumutungen der Straße mit Coolness und Witz vom Leibe halten. Verglichen mit Bettina Blümners »Prinzessinnenbad«, das den trotzigen Stolz von Mädchen in Berlin-Kreuzberg originell artikulierte, ist das Leben in München-Harras aber weitaus prekärer. Und die größte Qualität von Riedels Film besteht darin, sich auf diese Unsicherheit eingelassen zu haben: »Draussen bleiben« versucht fortwährend, die richtige Distanz zu seinen Figuren zu wahren. Dabei nicht zu erstarren, sondern interessiert zwischen Nähe und Ferne zu wechseln, zeichnet diesen Film aus.

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