Kritik zu Die Misswahl

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Nieder mit den Chauvis! Ein Spielfilm über die Hintergründe der Misswahl 1970, bei der Feministinnen gegen Patriarchat und Fleischbeschau protestierten

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Gewiss ist eine Mondlandung etwas Großartiges. Doch die Parade der schönsten der schönen Frauen fanden die Fernsehzuschauer attraktiver als Apollo 11. Bei der »Miss World«-Wahl versammelten sich 1970 weltweit 100 Millionen Menschen, mehr als bei der Mondlandung, vor der Glotze. So durften sie live miterleben, wie Moderator Bob Hope von Feministinnen mit Gemüse und Mehlbomben beworfen wurde.

Die Hintergründe dieser Randale werden aus der Perspektive mehrerer Akteure erzählt. Da ist einmal die Studentin Sally Alexander, die, mehr gedrängt als freiwillig, zum Sprachrohr ihrer Frauengruppe ernannt wird. Da ist »Miss Grenada«, die dem Treiben mit königlicher Distanz begegnet. Näher beleuchtet wird auch die schwarze »Miss Südafrika«, die, aus Angst vor Anti-Apartheidsaktivisten und Presse, in letzter Minute in den Wettbewerb gehievt wurde, so dass für Südafrika zwei Frauen antraten. Im aufgeheizten Jahr 1970 hat das umtriebige Ehepaar Morley, das 1951 das Konzept der »Miss World«-Shows erfunden hatte, alle Hände voll zu tun, um die Gala in der Royal Albert Hall pannenfrei über die Bühne zu bringen. Selbst Entertainer Bob Hope, ein Alphatier von gestern, wird von seiner Frau wegen seines Moderatorenjobs angezickt.

Dank dieser Stimmenvielfalt formt sich ein unterhaltsames zeitgeschichtliches Panorama. Erstaunlich unangestrengt wird in diesem Wimmelbild eine riesige Bandbreite von bis heute ungelösten Fragen des zeitgenössischen Feminismus, der Widersprüche zwischen Antirassismus und Sexismus, verhandelt. Dies ist einerseits ein Lehrfilm, in dem im Dienste emanzipatorischer Aufklärung biografische Details stark verändert und Menschen, gerade Frauen, instrumentalisiert werden; in dem ständig geredet und diskutiert wird, mit Parolen von A wie Anarchie über Bourgeoisie, Emanze, Fleischbeschau, Objektifizierung, bis hin zu, natürlich, Patriarchat.

Doch dies ist auch ein Feelgood-Film, fast eine Komödie, in der mit pythoneskem Drive das Absurde im frauenfeindlichen Alltag aufgespießt wird. Keira Knightley gibt, ihre Schönheit tarnend, wie in »Official Secrets« eine zögerliche Intellektuelle, der plötzlich die Hutschnur platzt. Tatsächlich ist jene Szene, in der Bob ­Hope durch sein anzügliches Herumwitzeln auf der Bühne Sally Alexander so empört, dass sie mit ihrer Ratsche früher als geplant Krach schlägt, ziemlich authentisch. In der Realität allerdings war Hope noch schmieriger. Auch in Streiflichtern auf Alexanders akademisches Umfeld wird ein heute kaum mehr vorstellbarer Sexismus demonstriert. Aus zeitlicher Distanz betrachtet, wirkt das Männergeklüngel indes albern – wie im Übrigen auch die mehr drollige als bedrohliche Frauengruppe.

»Und die größte Ironie ist«, sagt die echte Alexander heute, »dass ausgerechnet bei dieser Misswahl erstmals schwarze Frauen gewannen.« Dass im Film diese dialektische Ironie herausgearbeitet wird und er über den Abspann hinaus für Nachdenken sorgt, ist sein größtes Verdienst.

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