Kritik zu Brot

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118 Sauerteigkulturen im Tiefkühlfach: Harald Friedl stellt in seinem neuen Dokumentarfilm die Traditionsbäckerei und das industrielle Hightechhandwerk gegenüber – mit faszinierenden Effekten

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Karawanen von Toastbroten schrauben sich auf hausgroßen Spiralen automatisch mehrere Stockwerke in die Höhe. Drumherum rattern laut Zahnräder und Fließbänder. Wir sind in der riesigen Backfabrik des Branchenführers »Harry-Brot«. Bald darauf im Büro von Geschäftsführer Hans-Jochen Holthausen, der berichtet, wie er auf Spitzentechnologie und permanente Neuentwicklung setzt. So eine innovative Idee war die »Backstation«, bei der vorgebackene Backwaren erst in der Verkaufsstelle fertig gebacken werden. Wichtigste Messgröße ist aber die Stückzahl: 32 000 Brötchen in der Stunde sollen es schon sein.

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In Paris stehen Menschen Schlange vor einer altmodischen Eck-Boulangerie, deren Inhaber auch im Inneren auf traditionelle Werte setzt: wenige Zutaten. Geduldige Beobachtung der angesetzten Teigtröge. Und Zeit – genau im umgekehrten Sinn wie bei »Harry«: zwei Stunden Backen statt der üblichen zwanzig Minuten, zwei Tage Ruhezeit statt zwei Stunden. Bei der östereichischen Biobäckerfamilie Öfferl ist das Motto ähnlich: »Die Zeit nicht als Feind, sondern als Verbündeten sehen«.

2006 hatte der österreichische Filmemacher Harald Friedl für den Dokumentarfilm »Aus der Zeit« mit dem Veränderungsdruck ringende Geschäfte in Wien porträtiert. Nun geht es um den Kontrast von hergebrachtem Handwerk und Innovation. Doch während die aus der Zeit gefallenen Läden damals dem baldigen Untergang geweiht schienen, besetzen im neuen Film die Brottraditionalisten anscheinend erfolgreich ihr Terrain. So haben auch Familie Öfferl wie der Boulanger erst recht spät zum traditionellen Backen gefunden.

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Friedl kommentiert nicht, zeigt aber mit schönen Bildern und diskretem Musikeinsatz seine Sympathie für die altbackene Produktion. Faszinierender aber ist die andere Seite, für die im Film die Puratos Group (»We take our customers on a journey for the future«) aus Belgien steht, die mit Hightech-Bäckereizutaten wie »Brotverbesserer« herstellt: Enzymmischungen, die das Gebäck visuell und geschmacklich aufbrezeln oder länger haltbar machen. In einem Raum lagern hinter hohen Glastüren in Tiefkühlschränken 118 Sauerteigkulturen aus aller Welt, die unter dem Namen »O-tentic« zu Fertigbackmischungen entwickelt werden. CEO Daniel Malcorps rühmt sich, damit gezielt den Ciabatta-Boom ausgelöst zu haben. Am Ende steht er neben der Inschrift »future options­ – strategic interventions« und erzählt, dass gerade die Entwicklung von Brot für die Marsreise in der Pipeline sei.

Besonders diese Passagen sind ein spannender Ausflug in eine sonst kaum sichtbare Welt. Eher unnötig dagegen der Schlenker zum schon oft verhandelten Thema Schadstoffe, für den die Umwelttoxologin Joëlle Ruëgg und der grüne EU-Abgeordnete und Biobauer Martin Häusler stehen. Interessanter wäre da sicherlich ein Ausflug ins global, ökonomisch und geschmacklich doch bedeutsame Terrain der superweichen Sandwichbrote gewesen, von denen eines im Vorspann zu einem kleinen Klumpen Matsche zerdrückt wird.

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